Gefährliche Geliebte
sagte sie denn auch prompt, »wir brauchen nichts zu überstürzen.«
Ich nickte.
»Sei nicht zu ungeduldig. Das geht bei mir nicht so schnell.
Ich bin nicht so gescheit. Ich brauche eine Menge Zeit, um mich auf alles Neue vorzubereiten. Kannst du warten?«
Wieder nickte ich stumm. »Versprochen?« fragte sie.
»Versprochen.«
»Du wirst mir nicht weh tun?«
»Ich werde dir nicht weh tun.«
Für eine Weile blickte sie auf ihre Schuhe. Schlichte schwarze Mokassins. Neben meinen sahen sie so klein aus wie Puppenschuhe.
»Ich hab Angst«, sagte sie. »In letzter Zeit fühle ich mich wie eine Schnecke ohne Haus.«
»Ich hab auch Angst«, sagte ich. »Ich fühle mich wie ein Frosch ohne Schwimmhäute.«
Sie sah zu mir auf und lächelte.
Wortlos gingen wir an eine andere, schattige Stelle der Terrasse und umarmten und küßten uns: eine Schnecke ohne Haus und ein Frosch ohne Schwimmhäute. Ich hielt sie fest an mich gedrückt. Unsere Zungen berührten sich sacht. Ich streichelte ihre Brüste durch die Bluse. Sie sträubte sich nicht.
Sie schloß einfach nur die Augen und seufzte. Ihre Brüste waren klein und paßten bequem in meine hohlen Hände, als seien sie ausschließlich hierfür gemacht. Sie legte ihre Hand flach auf mein Herz, und die Berührung ihrer Hand und das Pochen meines Herzens wurden eins. Sie ist nicht Shimamoto, sagte ich mir. Sie kann mir nicht geben, was Shimamoto mir gegeben hat. Aber sie ist hier, ganz mein, und bemüht sich nach Kräften, mir alles zu geben, was sie mir geben kann. Wie könnte ich ihr jemals weh tun?
Aber es war mir damals nicht klar. Daß ich jemanden so schwer verletzen konnte, daß er - sie - sich nie wieder davon erholen würde. Daß man einem anderen Menschen nur da durch, daß man lebt, irreparablen Schaden zufügen kann.
3
Izumi und ich gingen über ein Jahr lang miteinander. Wir trafen uns einmal in der Woche, gingen ins Kino, arbeiteten zusammen in der Bibliothek oder unternahmen einfach lange, ziellose Spaziergänge. Was allerdings den Sex anbelangt, so hielten wir immer irgendwo auf halbem Wege an. Etwa zweimal im Monat kam sie zu mir, wenn meine Eltern nicht da waren, und dann legten wir uns auf mein Bett und hielten uns in den Armen. Aber sie zog sich nie ganz aus. Man wisse nie, ob nicht jemand zurückkomme, sagte sie. »Übervorsichtig« wäre wahrscheinlich die richtige Bezeichnung für sie gewesen. Sie hatte keine Angst; es paßte ihr nur nicht, in eine möglicherweise peinliche Situation gedrängt zu werden.
Und so mußte ich mich damit begnügen, sie vollständig angezogen in den Armen zu halten und, so gut es ging, unter ihrer Unterwäsche herumzufummeln.
»Hab Geduld«, sagte sie jedesmal, wenn ich meine Enttäuschung nicht verbergen konnte. »Ich brauche mehr Zeit. Bitte.«
Im Grunde hatte ich es selbst nicht besonders eilig; ich war nur verwirrt und in mancherlei Hinsicht enttäuscht. Natürlich mochte ich sie und war dankbar dafür, daß sie meine Freundin war. Ohne sie wären meine Teenagerjahre völlig öde und farblos gewesen. Sie war ein ehrliches, freundliches Mädchen, das alle mochten; aber unsere Interessen gingen diametral auseinander. Mit den Büchern, die ich las, oder der Musik, die ich hörte, konnte sie nichts anfangen, und so waren Gespräche darüber, von gleich zu gleich, nicht möglich. Darin unterschied sich meine Beziehung zu ihr drastisch von der zu Shimamoto.
Doch wenn ich neben ihr saß und ihre Hand berührte, wallte eine natürliche Wärme in mir auf. Ich konnte ihr alles sagen. Ich küßte sie gern auf die Lider und auf die Stelle gleich über dem Mund. Schön fand ich es auch, ihr das Haar hochzustreichen und ihre winzigen Öhrchen zu küssen, was sie unweigerlich zum Kichern brachte. Noch heute schwebt mir, wenn ich an sie denke, ein friedlicher Sonntagmorgen vor: ein milder, heiterer Tag, der eben erst beginnt. Keine Hausaufgaben, die auf einen warten, schlicht ein Sonntag, an dem man tun kann, was man möchte. Immer gab sie mir dieses entspannte, sorglose Sonntagmorgengefühl.
Gewiß, sie hatte auch ihre Fehler. Sie war ganz schön dickköpfig, und ein bißchen mehr Phantasie hätte ihr nicht geschadet. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, auch nur einen Schritt über die Grenze der behaglichen Welt zu wagen, in der sie aufgewachsen war. Nichts konnte sie so sehr fesseln, daß sie darüber Hunger oder Müdigkeit vergessen hätte. Und sie liebte und achtete ihre Eltern. Die wenigen Ansichten, die sie überhaupt
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