Gefährliche Geliebte
wieder nach Hause kamen.
»Ich glaube, unsere einzige Chance ist, daß du dich rausschleichst, während meine Tante auf dem Klo ist«, erklärte ich Izumi.
»Glaubst du wirklich, das klappt?«
»Versuchen wir's. Wir können nicht weiter nur rumsitzen und Däumchen drehen.«
Ich würde unten warten, bis meine Tante aufs Klo ging, und dann zweimal laut klatschen. Izumi würde herunterkommen, sich die Schuhe anziehen und gehen. Wenn ihre Flucht gelang, würde sie mich von einer Telefonzelle in der Nähe anrufen.
Meine Tante sang vergnügt vor sich hin, während sie Gemüse in Scheibchen schnitt, Miso-Suppe kochte und ein paar Eier briet. Die Zeit verging, und sie legte und legte keine Toilettenpause ein. Was wußte denn ich, am Ende stand sie im Guinness-Buch der Rekorde, unter »Dehnbarste Blase der Welt«? Ich wollte schon aufgeben, da nahm sie die Schürze ab und ging aus der Küche. Kaum hatte sie die Badezimmertür hinter sich abgeschlossen, stürzte ich ins Wohnzimmer und klatschte zweimal laut. Izumi kam auf Zehenspitzen die Treppe herunter, schlüpfte rasch in ihre Schuhe und schlich, so leise sie konnte, aus dem Haus. Ich ging in die Küche, um mich zu vergewissern, daß sie es ohne Zwischenfälle bis zum Türchen und auf die Straße schaffte. Eine Sekunde später kam meine Tante aus dem Bad. Ich seufzte erleichtert auf.
Fünf Minuten später rief Izumi an. Ich sagte meiner Tante, ich wäre in einer Viertelstunde wieder zurück, und ging aus dem Haus. Izumi stand vor der Telefonzelle.
»Ich find das unmöglich«, sagte sie, noch ehe ich ein Wort herausbringen konnte. »Das war das letzte Mal, daß ich so etwas mitmache!«
Daß sie wütend und aufgeregt war, konnte ich ihr nicht verdenken. Ich führte sie in den Park am Bahnhof und setzte mich mit ihr auf eine Bank. Und faßte sie sanft bei der Hand. Unter ihrem beigefarbenen Mantel trug sie einen roten Pullover. Zärtlich dachte ich an das zurück, was sich darunter verbarg.
»Aber es war schön heute - ich meine, bis meine Tante aufgekreuzt ist. Findest du nicht auch?« fragte ich.
»Natürlich hat es mir gefallen. Ich finde es jedesmal toll, wenn wir zusammen sind. Aber hinterher bin ich immer durcheinander und mache mir Gedanken.«
»Weswegen denn?«
»Wegen der Zukunft. Wenn wir mit der Oberschule fertig sind, gehst du nach Tokio aufs College, und ich bleibe hier. Was wird dann aus uns beiden?«
Ich hatte bereits beschlossen, nach der Schule in Tokio zu studieren. Ich konnte es kaum erwarten, meine provinzielle Heimatstadt und mein Elternhaus zu verlassen und allein zu leben. Mein Notendurchschnitt war nicht berühmt, aber in den Fächern, die mich interessierten, erreichte ich ziemlich gute Ergebnisse, ohne auch nur ein Buch aufzuschlagen, und so würde es kein Problem sein, auf ein Privatcollege zu kommen, wo nur in ein paar wenigen Fächern geprüft wurde. Aber daß Izumi ebenfalls nach Tokio kommen würde, konnte ich mir aus dem Kopf schlagen. Ihre Eltern wollten sie in ihrer Nähe behalten, und sie gehörte nicht gerade zum aufsässigen Typ. Also hätte sie sich gewünscht, daß auch ich dabliebe. Es gibt doch ein gutes College hier, argumentierte sie. Wozu mußt du unbedingt nach Tokio? Wenn ich ihr versprochen hätte, nicht nach Tokio zu ziehen, hätte sie bestimmt mit mir geschlafen.
»Ach, komm schon«, sagte ich. »Schließlich ziehe ich ja nicht ans andere Ende der Welt. Es ist nur eine Fahrt von drei Stunden. Und die College-Ferien sind lang, also bin ich drei, vier Monate im Jahr sowieso hier.« Ich hatte es ihr schon ein dutzendmal erklärt.
»Aber wenn du von hier wegziehst, dann vergißt du mich früher oder später. Und du findest eine neue Freundin«, sagte sie. Auch diese Argumente hatte ich schon wenigstens ein dutzendmal gehört.
Ich erklärte ihr, daß das nicht passieren würde. Ich hab dich sehr lieb, sagte ich, wie könnte ich dich da so leicht vergessen? Aber ich war mir keineswegs so sicher. Ein einfacher Szenenwechsel kann zu einschneidenden Veränderungen im Fluß der Zeit und der Empfindungen führen: genau das, was mit Shimamoto und mir passiert war. Wir mochten uns noch so nahegestanden haben, eine Entfernung von gerade eben mal ein paar Kilometern hatte völlig ausgereicht, damit wir getrennte Wege einschlugen. Ich hatte sie sehr gemocht, und sie hatte mich jedesmal aufgefordert wiederzukommen. Aber am Ende hatte ich aufgehört, sie zu besuchen.
»Ich begreife da etwas einfach nicht«, sagte Izumi. »Du
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