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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und in der Dunkelheit blitzten Strudel vor mir auf. Zahllose Strudel entstanden und verschwanden dann wieder ohne einen Laut. Irgendwo weit weg sang Nat King Cole »South of the Border«. Das Lied handelte von Mexiko, aber damals wußte ich das noch nicht. Die Worte »south of the border« erweckten eine seltsame Sehnsucht in mir. Ich war mir absolut sicher, daß »südlich der Grenze« etwas ganz Wunderbares lag. Als ich die Augen öffnete, bewegte Shimamoto noch immer ihre Finger über ihren Rock. Irgendwo tief in meinem Körper verspürte ich einen unsagbar süßen Schmerz.
    »Es ist komisch«, sagte sie, »aber wenn ich an Kinder denke, kann ich mir nur vorstellen, ein einziges zu haben. Ich kann mich schon irgendwie mit Kindern sehen: Ich bin eine Mutter, und ich habe ein Kind. Das macht mir keine Schwierigkeiten. Aber mit Geschwistern kann ich mir dieses Kind nicht vorstellen. Es ist ein Einzelkind.« Sie war ganz ohne Frage ein frühreifes Mädchen. Ich bin mir sicher, daß sie sich zu mir als einem Angehörigen des anderen Geschlechts hingezogen fühlte - ein Gefühl, das ich durchaus erwiderte. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich mit solchen Gefühlen umgehen sollte. Und ich habe den Verdacht, daß Shimamoto es ebensowenig wußte. Wir hielten uns nur ein einziges Mal bei der Hand. Sie führte mich gerade irgendwohin und ergriff meine Hand, wie um zu sagen: Hier lang - beeil dich! Unsere Hände waren, wenn's hoch kommt, zehn Sekunden lang umeinander geschlossen, aber mir kam es eher wie dreißig Minuten vor. Als sie mich losließ, fühlte ich mich plötzlich verloren. Es hatte völlig natürlich gewirkt, wie sie nach meiner Hand gefaßt hatte, aber ich wußte, daß sie darauf gebrannt hatte, es zu tun.
    Das Gefühl, ihre Hand zu halten, hat mich nie wieder verlassen. Es war anders als bei jeder anderen Hand, die ich je gehalten hatte, anders als bei jeder Berührung, die ich je erlebt habe. Es war lediglich die kleine, warme Hand eines zwölfjährigen Mädchens, aber diese fünf Finger, diese Handfläche waren wie eine Vitrine, die absolut alles enthielt, was ich wissen wollte - und was ich wissen mußte. Indem sie meine Hand nahm, zeigte sie mir, was dieses »alles« war. Zeigte mir, daß es hier, in der realen Welt, einen solchen Ort gab. Während dieser zehn Sekunden wurde ich zu einem kleinen Vögelchen, das in die Luft aufflatterte, in den rauschenden Wind. Vom Himmel aus, von hoch oben, konnte ich ein fernes Bild sehen. Es war so weit entfernt, daß ich es nicht deutlich erkennen konnte, aber irgend etwas war da, und ich wußte, daß ich eines Tages dorthin reisen würde. Diese Offenbarung raubte mir den Atem und ließ mein Zwerchfell beben.
    Ich kehrte nach Hause zurück, setzte mich an meinen Schreibtisch und starrte lange auf diese Finger, die Shimamoto umfaßt hatte. Es erfüllte mich mit Seligkeit, daß sie meine Hand gehalten hatte. Ihre sanfte Berührung wärmte mir noch tagelang das Herz. Zugleich verwirrte mich dieses Gefühl, machte mich ratlos, in gewisser Weise sogar traurig. Wie würde ich nur je mit dieser Wärme fertig werden können?
    Nach der Grundschule kamen Shimamoto und ich auf verschiedene Mittelschulen. Ich verließ die Umgebung, in der ich bis dahin gelebt hatte, und zog in eine andere Stadt. Ich sage »eine andere Stadt«, aber ich wohnte nur zwei Haltestellen von dort entfernt, wo ich aufgewachsen war, und während der ersten drei Monate nach meinem Umzug besuchte ich Shimamoto noch drei-, viermal. Aber das war es dann auch. Schließlich hörte ich ganz auf hinzugehen. Wir waren beide in einem empfindlichen Alter, in dem die Tatsache, daß wir verschiedene Schulen besuchten und zwei Haltestellen voneinander entfernt wohnten, völlig ausreichte, um mir das Gefühl zu geben, daß wir jetzt in grundverschiedenen Welten lebten. Wir hatten nicht mehr die gleichen Freunde, nicht mehr die gleichen Schuluniformen und Schulbücher. Mein Körper, meine Stimme, meine Denkweise machten abrupte Veränderungen durch, und eine ungewohnte Befangenheit bedrohte auf einmal die intime Welt, die wir uns geschaffen hatten. Shimamoto machte natürlich sogar noch einschneidendere physische und psychische Veränderungen durch. Und das alles bereitete mir Unbehagen. Ihre Mutter begann, mich merkwürdig anzusehen. Warum kommt dieser Junge immer noch hierher? schien sie sich zu fragen. Er wohnt doch gar nicht mehr in der Nähe, und er geht auf eine andere Schule. Vielleicht war ich aber auch nur

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