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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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verlassen, aber wie hätte ich das sagen dürfen? Ich, der Kerl, der bereit gewesen war, seine ganze Familie im Stich zu lassen! Daß Shimamoto gegangen war und nie wieder zurückkehren würde, bedeutete noch lange nicht, daß ich unbeschwert in mein früheres Leben zurückhüpfen und so tun konnte, als wäre nichts gewesen. So simpel ist das Leben nicht, und ich finde auch nicht, daß es so sein sollte. Zudem hatte ich Shimamoto noch zu deutlich, zu plastisch im Sinn. Sobald ich die Augen schloß, schwebte jedes Detail ihres Körpers vor mir. Meine Handflächen wußten noch, wie ihre Haut sich angefühlt hatte, und ihre Stimme hörte nicht auf, mir ins Ohr zu flüstern. Ich konnte unmöglich mit Yukiko schlafen, solange diese Eindrücke in meinem Kopf noch so lebendig waren.
    Ich hatte das Bedürfnis, allein zu sein, und da mir nichts anderes einfiel, ging ich jeden Morgen schwimmen. Anschließend ging ich in mein Büro, starrte an die Decke und verlor mich in Tagträumen über Shimamoto. Solange Yukikos Frage unbeantwortet im Raum hing, lebte ich in einem Vakuum. Ich konnte nicht ewig so weitermachen. Es war einfach nicht richtig. Ich mußte mich als Mensch, als Ehemann, als Vater meiner Verantwortung stellen. Doch solange mich diese Trugbilder umgaben, war ich wie gelähmt. Noch schlimmer wurde es sogar, wenn es regnete, denn dann befiel mich wieder die wahnhafte Hoffnung, Shimamoto könne jeden Augenblick hereinkommen: leise die Tür öffnen, den Duft des Regens mit sich hereintragen. Ich sah bereits ihr lächelndes Gesicht. Wenn ich etwas Falsches sagte, würde sie stumm den Kopf schütteln und dabei weiterlächeln. Alle meine Worte verloren ihre Kraft und lösten sich, wie an der Fensterscheibe herabrinnende Regentropfen, allmählich von der Wirklichkeit. An regnerischen Abenden konnte ich kaum atmen. Der Regen verzerrte die Zeit und die Wirklichkeit.
    Wenn ich diese Innenbilder nicht länger ertragen konnte, starrte ich nach draußen. Ich war in einem leblosen, verdorrten Land ausgesetzt. Die Visionen hatten der Welt jegliche Farbe entzogen. Jede Szene vor meinen Augen, alles war flach, eine zweidimensionale Skizze. Jedes Objekt war körnig und sandfarben. Die Worte, mit denen sich mein alter Klassenkamerad von mir verabschiedet hatte, ließen mich nicht mehr los. Jede Menge Lebensweisen. Und jede Menge Todesarten. Aber am Ende ... bleibt nur eine Wüste. In der Woche darauf überrumpelte mich ein seltsames Ereignis nach dem anderen, als hätten sie mir aufgelauert. Am Montagvormittag fiel mir ohne besonderen Grund der Umschlag mit den hunderttausend Yen wieder ein, und ich beschloß, ihn hervorzuholen. Vor vielen Jahren hatte ich ihn in eine Schublade meines Büroschreibtischs gelegt, in eine abschließbare Schublade, die zweite von oben. Als ich in das Büro eingezogen war, hatte ich noch ein paar weitere Wertsachen zu dem Umschlag in diese Schublade gelegt; danach hatte ich mich nur gelegentlich vergewissert, daß er noch vorhanden war, ihn aber nie mehr angerührt. Doch jetzt war der umschlag verschwunden. Das war merkwürdig, unheimlich sogar, denn ich konnte mich absolut nicht daran erinnern, ihn woandershin gelegt zu haben. Ich war mir da völlig sicher, und nur zur Bestätigung zog ich die übrigen Schubladen auf und durchsuchte sie systematisch. Kein Umschlag.
    Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich ihn zuletzt gesehen hatte. Auf den Tag genau brachte ich es nicht mehr zusammen. Es war nicht sehr lange her, aber auch nicht in allerletzter Zeit gewesen. Vor einem Monat, vielleicht vor zwei, allerhöchstens drei Monaten.
    Bestürzt setzte ich mich auf meinen Stuhl und starrte die Schublade an. Vielleicht war jemand ins Büro eingebrochen, hatte die Schublade aufgeschlossen und den Umschlag mitgenommen. Das war allerdings nicht sehr wahrscheinlich - die Schublade enthielt noch mehr an Bargeld und Wertsachen, und nichts davon fehlte. Aber immerhin, es lag im Bereich des Möglichen. Oder vielleicht hatte ich den Umschlag gedankenlos fortgeworfen und die Erinnerung daran aus meinem Gedächtnis gelöscht, aus welchem Grund auch immer. Na gut, sagte ich mir, was spielt das schon für eine Rolle? Ich wollte ihn ja ohnehin eines Tages loswerden, nun kann ich mir die Mühe eben sparen.
    Kaum hatte ich jedoch akzeptiert, daß der Umschlag verschwunden war, tauschten dessen Existenz und Nichtexistenz in meinem Bewußtsein die Plätze. Ein seltsames Gefühl überkam mich, das einem Anfall von Schwindel glich. In

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