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Gefährliche Geliebte

Gefährliche Geliebte

Titel: Gefährliche Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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nicht ganz. Ich sollte es so beschreiben: Wie ein Zimmer, das man restlos ausgeräumt hat, war ihr Gesicht von allem entkleidet, was man als ausdrucksvoll hätte bezeichnen können, und nichts war übriggeblieben. Nicht der leiseste Anflug einer Regung streifte ihr Gesicht; es war wie der Grund eines tiefen Ozeans, stumm und tot. Und mit diesem vollkommen ausdruckslosen Gesicht starrte sie mich an. Zumindest glaubte ich, daß sie mich ansah. Ihre Augen blickten starr in meine Richtung, doch in ihrem Gesicht zeichnete sich nichts ab. Oder was sich darin abzeichnete, war eine unendliche Leere.
    Ich stand sprachlos da, wie betäubt. Kaum noch fähig, mich aufrecht zu halten, atmete ich langsam ein und aus. Für ein, zwei kurze Augenblicke brach mein Ichgefühl auseinander, zerliefen seine Konturen zu einer zähen, sirupartigen Schmiere. Unwillkürlich streckte ich die Hand aus, berührte das Fenster des Taxis, strich mit den Fingerkuppen über die Scheibe. Ich hatte keine Ahnung, warum ich das tat. Ein paar Passanten blieben verschreckt stehen und gafften. Aber ich konnte nicht anders. Durch das Glas hindurch streichelte ich langsam dieses gesichtslose Gesicht. Izumi bewegte keinen Muskel, blinzelte nicht einmal. War sie tot? Nein, nicht tot. Sie war noch am Leben, in einer reglosen Welt. In einer tiefen, stummen Welt hinter dieser Glasscheibe lebte sie. Und ihre unbewegten Lippen sprachen von einem unendlichen Nichts.
    Die Ampel schaltete schließlich auf Grün, und das Taxi fuhr an. Izumis Gesicht blieb bis zuletzt unverändert. Ich stand wie angewurzelt da und starrte dem Taxi nach, bis die Flut von Autos es verschluckte.
    Ich ging zu meinem Wagen zurück und ließ mich in den Sitz fallen. Ich mußte hier fort. Als ich gerade den Motor anlassen wollte, überkam mich plötzlich eine Woge von Übelkeit. Als müßte ich gleich meine Eingeweide auskotzen. Aber ich übergab mich nicht. Beide Hände am Lenkrad, saß ich gut eine Viertelstunde da. Meine Unterarme waren schweißnaß, und von meinem Körper stieg ein ekelerregender Geruch auf. Dies war nicht der Körper, den Shimamoto so sanft geliebt hatte. Es war der Körper eines alternden Mannes, der einen ekelhaften, säuerlichen Gestank absonderte.
    Einige Minuten darauf kam ein Polizist an mein Auto und klopfte gegen die Scheibe. Ich kurbelte das Fenster herunter. »Sie können hier nicht parken«, sagte er und ließ den Blick kurz durch das Wageninnere schweifen. »Fahren Sie Ihren Wagen hier weg.« Ich nickte und ließ den Motor an.
    »Sie sehen furchtbar aus. Ist Ihnen übel?« fragte der Polizist.
    Wortlos schüttelte ich den Kopf. Und fuhr los.
    Ich brauchte mehrere Stunden, um mich zu erholen. Ich war restlos ausgelaugt, nur noch eine leere Hülse. Ein hohles Dröhnen hallte durch meinen Körper. Ich parkte das Auto auf dem Friedhof von Aoyama und starrte durch die Windschutzscheibe teilnahmslos in den fernen Himmel. Izumi erwartete mich dort. Sie war immer irgendwo und wartete auf mich. An irgendeiner Straßenecke, hinter irgendeiner Glasscheibe wartete sie darauf, daß ich auftauchte. Beobachtete mich. Ich hatte es nur bislang nicht bemerkt.
    Danach konnte ich mehrere Tage lang nicht sprechen. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber jedesmal verschwanden die Worte, als habe das reine Nichts, das Izumi war, die Macht übernommen.
    Dafür begannen nach dieser seltsamen Begegnung die Nachbilder von Shimamoto allmählich zu verblassen. Die Welt nahm wieder Farbe an, und ich hatte nicht mehr das beklemmende Gefühl, über die Mondoberfläche zu tappen. Undeutlich, als beobachtete ich durch ein Glasfenster, was mit jemand anderem geschah, bemerkte ich eine winzige Verschiebung der Schwerkraft, und etwas, das an mir gehaftet hatte, schien langsam von mir abzufallen.
    Etwas in mir wurde gekappt und verschwand. Lautlos. Für immer. Als das Trio eine Pause einlegte, ging ich zu dem Pianisten hinüber und sagte ihm mit dem freundlichsten Lächeln, das ich aufbieten konnte, er brauche »Star-Crossed Lovers« nicht mehr zu spielen. »Du hast es oft genug für mich gespielt. Langsam wird es Zeit, damit aufzuhören.«
    Er sah mich an, als wäge er etwas ab. Wir beide waren Freunde, hatten schon so manche Flasche miteinander geleert und waren dabei über die übliche höfliche Konversation hinausgelangt.
    »Ich verstehe nicht ganz«, sagte er. »Willst du nicht mehr, daß ich das Stück eigens deinetwegen spiele? Oder willst du, daß ich es überhaupt nicht mehr spiele?

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