Gefährliche Glut
die ihre Tradition ihnen auferlegte.
Sie waren in das Schlafgemach ihres Vaters zitiert worden, einen riesigen, prunkvoll eingerichteten Raum, der mit den Insignien längst vergangener Pracht ausgestattet war, wo ihr Vater geschwächt auf dem großen Doppelbett lag.
In diesem Bett waren sie alle gezeugt worden, einschließlich Antonio, ihrem tödlich verunglückten Halbbruder, der kurz vor seinem Tod gestand, dass irgendwo da draußen ein Kind von ihm existierte.
„Dieses Kind ist ein Leopardi und gehört zu seiner Familie nach Castello Leopardi“, hatte ihr Vater in seinem üblichen Befehlston erklärt.
„Und was ist mit der Mutter? Wer ist sie?“, hatte Alessandro gefragt.
„Antonio blieb nicht mehr genug Zeit, ihren Namen zu nennen.“
Wahrscheinlicher war, dass Antonio sich an diesen Namen gar nicht mehr erinnert hatte. Aber diesen Gedanken hatte Rocco damals für sich behalten.
Die Antwort des alten Patriarchen war wieder einmal typisch gewesen. Selbstherrlich und egozentrisch, als drehte sich die ganze Welt nur um ihn und sein eigenes Wohlergehen. „Diese Frau ist eine Diebin, sie enthält uns Antonios Kind vor. Es muss hierhergebracht werden, darauf hat es genauso ein Anrecht wie ich. Immerhin war Antonio mein Sohn.“
Sein Lieblingssohn. Der einzige Sohn, der in seinen Augen überhaupt je gezählt hatte. Das war ein offenes Geheimnis.
„Dieses Kind gehört hierher. Das war Antonios letzter Wunsch, und ich erwarte, dass dem Sorge getragen wird.“
Falcon hatte ihn daran erinnert, dass sie die Identität der Mutter nicht kannten, ein Einwand, den ihr Vater einfach vom Tisch wischte.
„Dieses Kind muss unter allen Umständen gefunden werden.“
Am Ende war den drei Brüdern nichts anderes übrig geblieben, als sich dem Befehl des Vaters zu beugen. Falcon hatte die Nachforschungen in die Hand genommen.
Zwei Wochen später versammelten sich wieder alle um das Familienoberhaupt. Es hatte sich herausgestellt, dass tatsächlich eine von Antonios zahlreichen Frauenbekanntschaften im letzten Sommer ein Kind bekommen hatte. „Eine britische Urlauberin, die zu den Filmfestspielen nach Cannes gereist war“, berichtete Falcon. „Dass Antonio Kontakt mit ihr hatte, steht fest. Trotzdem muss das Kind deshalb natürlich noch lange nicht von ihm sein. Das lässt sich nur durch einen Gentest klären, aber dafür benötigen wir die Zustimmung der Mutter. Ich finde, wir sollten mit der Frau reden und …“
„Dieses Kind gehört hierher“, hatte ihr Vater stur wiederholt. „Es ist an euch zu überlegen, wie sich das am besten bewerkstelligen lässt. Die Mutter interessiert mich nicht. Sie hatte es wahrscheinlich darauf angelegt, von Antonio schwanger zu werden, um sich dadurch finanzielle Vorteile zu verschaffen. Also, ich wiederhole: Ich will dieses Kind hier sehen, habt ihr mich verstanden? Und verschont mich mit der Mutter.“
Sie waren sich alle drei der wütenden Verachtung ihres Vaters bewusst gewesen, aber auch das war keine neue Erfahrung. Damit lebten sie schon ihr ganzes Leben.
Nachdem ihrem Vater der einzige Sohn, den er je geliebt hatte, durch einen selbst verschuldeten Autounfall genommen worden war, klammerte er sich jetzt an die vage Hoffnung, dass Antonio wenigstens einen Nachkommen hinterlassen hatte.
Falls sich Falcons Nachforschungen als zutreffend erweisen sollten, würde die Mutter allerdings ganz schnell erkennen, dass sie ein Pfund in der Hand hatte, mit dem sie wuchern konnte. Und darüber, dass sie diese Situation ausnützen würde, waren sich alle Brüder einig gewesen.
„Heißt das, wir sollen diese Frau samt ihrem Kind nach Sizilien bringen und sie hierbehalten, bis die Frage der Vaterschaft geklärt ist?“, hatte Alessandro mit sichtlichem Unbehagen gefragt, nachdem sie wieder allein gewesen waren.
Falcon hatte nur resigniert die Schultern gezuckt. „Hast du eine bessere Idee?“
Alessandro zog es vor zu schweigen, aber Rocco kamen noch ganz andere Bedenken.
„Und was, wenn es tatsächlich Antonios Kind ist? Ich meine, wir können es der Mutter schließlich nicht einfach wegnehmen. Wahrscheinlich schwebt dem Alten vor, dass wir die Frau auszahlen oder irgendetwas in der Art, aber wir wissen doch alle, wie schlimm es für ein Kind ist, ohne Mutter aufzuwachsen …“
„Mach dir keine Gedanken“, fiel Falcon Rocco ins Wort. „Unser Vater lebt nicht mehr lange. Es geht ihm zwar längst nicht so schlecht wie er behauptet, aber am Ende werden doch wir diejenigen
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