Gefährliche Glut
Julie wünschte sich weiterhin hartnäckig, dass James sein Vater sein möge. Allerdings wusste sie auch, dass sie kein Recht hatte, Josh sein Erbe vorzuenthalten, falls James nicht sein Vater war.
Es war offensichtlich, dass Rocco Leopardi nicht wusste, dass ihre Schwester tot war und sie, Julie, für Judy hielt. Julie verzog den Mund zu einem wehmütigen Lächeln. Hätte er ihre Schwester auch nur flüchtig gekannt, wäre ihm diese Verwechslung mit Sicherheit nicht passiert. Wo Judy doch so viel schöner gewesen war als sie selbst. Eine Tatsache, auf die ihre Schwester sie immer wieder einmal geglaubt hatte hinweisen zu müssen.
„Und warum sollen wir mitkommen nach Sizilien?“, fragte sie.
„Unser Hausarzt wird dort einen Vaterschaftstest machen.“
„Aber das geht doch hier genauso“, protestierte Julie.
Rocco überhörte es und fuhr auch schon fort: „Sollte sich unsere Vermutung bestätigen, erkennen wir das Kind selbstverständlich an und nehmen es als vollwertiges Mitglied in unsere Familie auf.“
„Und wenn Antonio nicht der Vater ist?“, fragte Julie heiser. Sie schaffte es nicht, dem Mann bei ihrer Frage in die Augen zu schauen, weil sie wusste, dass es praktisch ein Eingeständnis ihrer zweifelhaften Moral war.
Rocco runzelte die Stirn. Irgendwie verhielt sie sich anders als erwartet. Er hatte sich vorgestellt, dass sie sich zur trauernden Witwe hochstilisieren und keinen Zweifel daran dulden würde, dass Antonio der Vater ihres Kindes war. Jetzt hingegen räumte sie ganz offen ein, dass es auch anders sein könnte. Das war irritierend.
„Dann erhalten Sie von uns eine Aufwandsentschädigung und zusätzlich einen angemessenen Betrag für Ihre Diskretion.“
Julie riss empört die Augen auf.
„Einen angemessenen Betrag für meine Diskretion? Was soll das denn sein? Schweigegeld womöglich?“, fragte sie angewidert. Gott, war das abstoßend! Julie wünschte sich nichts mehr, als sich aus allem heraushalten zu können, aber das war unmöglich. Sie war für Josh verantwortlich und musste in seinem Sinne handeln.
„Sollten Sie allerdings jetzt schon wissen, dass Antonio nicht der Vater ist …“
„Nein, ich bin mir nicht sicher“, unterbrach Julie ihn kleinlaut.
Rocco meinte ihr ansehen zu können, dass sie die Wahrheit sagte.
Im Auto hing ein Duft nach teurem Leder, in den sich der Anflug eines ebenso teuren Eau de Colognes mischte. Julie drehte sich um und warf einen Blick auf Josh, froh darüber, dass sie sich in der Krippe die Zeit genommen hatte, ihn zu füttern und zu wickeln.
Josh war ein ruhiges Kind. Zu ruhig manchmal, fand Julie.
Und der nette neue Kinderarzt hatte ihr zugestimmt, als sie ihre Bedenken geäußert hatte.
Die traurige Wahrheit war – wie Julie befürchtet und der Arzt vorsichtig bestätigt hatte – dass der bedauernswerte Kleine in den ersten Wochen seines Lebens von seiner Mutter vernachlässigt worden war, unter anderem, indem sie ihn falsch ernährt hatte. Außerdem war ein Infekt unbehandelt geblieben, wodurch sein Immunsystem geschädigt worden war, das jetzt Schwierigkeiten hatte, sich gegen eine Wintergrippe zu behaupten, die andere Babys problemlos wegsteckten. Und psychisch hatte er unter der mütterlichen Vernachlässigung ebenfalls gelitten. Aber Julie hatte sich fest vorgenommen, alles wiedergutzumachen, was an ihm versäumt worden war. Am liebsten hätte sie sich vierundzwanzig Stunden am Tag um ihn gekümmert, aber das war nicht möglich, weil sie für Josh und sich den Lebensunterhalt verdienen musste. Solange nicht absehbar war, was vom Erbe ihrer Eltern übrig bleiben würde, waren sie auf dieses Einkommen angewiesen.
Als Rocco plötzlich den Motor anließ und losfuhr, fragte Julie überrascht: „Wohin fahren Sie denn?“
„Zum Flughafen“, gab er völlig selbstverständlich zurück. „Wir fliegen nach Sizilien.“
Wie bitte? Nach Sizilien? Jetzt? Aber sie hatte doch gar keine Kleider zum Wechseln dabei, weder für sich noch für Josh! Außerdem hatte sie ihre Zustimmung noch gar nicht gegeben – nicht endgültig jedenfalls.
„Na hören Sie mal! Was fällt Ihnen ein?“, entrüstete sich Julie. „Das geht nicht!“
„Und warum nicht?“
„Ich kann doch nicht einfach sang- und klanglos verschwinden. Ich müsste mir erst Urlaub nehmen und in der Kita Bescheid sagen. Außerdem … wir … Josh braucht … wir brauchen beide etwas zum Anziehen und … und …“
„Sie können vom Auto aus telefonieren, und alles andere
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