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Gefährliche Ideen

Gefährliche Ideen

Titel: Gefährliche Ideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alf Rehn
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Frage, ob maneinen Test in Staatsbürgerkunde zur Voraussetzung für das aktive Wahlrecht machen, das Mindestwahlalter herabsetzen oder das Wahlverfahren radikal verändern sollte. Doch die Vorstellung, auf Demokratie zu verzichten, mutet so verrückt und abwegig an, dass es uns bereits schwerfällt, sie überhaupt auszuformulieren. Demokratie, die Marktwirtschaft, bezahlte Arbeitsplätze, Mobiltelefone und zahllose andere Dinge sind für uns so selbstverständlich und ein so fester Bestandteil unseres Lebens, dass es merkwürdig, ja sinnlos erschiene, sie infrage zu stellen. Warum in aller Welt sollte jemand den Sinn von Mobiltelefonen anzweifeln?
    Unsere geheimen Schubladen
    Wir erkennen hier den außerordentlich wichtigen Unterschied zwischen einer Erweiterung der Vorstellungswelt und dem Bruch
mit Norm(alität)en . Zum besseren Verständnis dieser Unterscheidung ist es hilfreich, sich einige Eigenheiten des menschlichen Gehirns vor Augen zu führen. Ihr Verstand weist – wie jeder andere Verstand auch – verschiedene Arten von Schranken und Begrenzungen auf. Manche davon lassen sich leicht beiseite räumen, während andere weitaus starrer sind. Im Gehirn wimmelt es nur so vor Schranken der ersteren Kategorie, und bei jeder Begegnung mit etwas Neuem oder einer neuen Herangehensweise an etwas Bekanntes werden einige davon geweitet – der gedankliche Raum expandiert. Man könnte diesen Raum als Bereich des täglichen Denkens beschreiben, und seine Erweiterung wird als natürlicher und angenehmer Vorgang erlebt.
    Nehmen wir zur Veranschaulichung mein Verhältnis zu Ketchup als Beispiel. Lange Zeit bin ich davon ausgegangen, dass diese Würzsauce stets und notwendigerweise rot ist. Doch beieinem spontanen Einkaufsbummel in einem Feinkostgeschäft fand ich sowohl gelbes als auch lilafarbenes Ketchup – ersteres mit Bananengeschmack, letzteres für Kinder. Plötzlich erweiterte sich also meine Vorstellung von »Ketchup«. Bevor ich einer lilafarbenen Variante begegnete, hatte ich nicht ansatzweise in Betracht gezogen, dass es mit Lebensmittelfarbe versetzte Ketchupsorten geben könnte, während ich mir heute mühelos grünen, blauen oder rosafarbenen Ketchup vorstellen kann. Doch bedeutet dies tatsächlich, dass ich kreativer geworden bin? Natürlich kann ich mir jetzt neue Möglichkeiten für den Einsatz von Farbe vorstellen, und vermutlich beeinflusst das mein Denken über die Möglichkeiten der Farbgebung bei Softdrinks, der Buchgestaltung oder bei Arzneimitteln.
    Zugegeben, all dies ist begrüßenswert. Doch wie wichtig ist eine solche Erweiterung der Vorstellungswelt? Tatsächlich könnte sie weitaus weniger bedeutend sein, als wir gemeinhin annehmen, auch wenn diese Erkenntnis ein wenig verstörend sein sollte. Obwohl es wichtig ist, den Horizont der eigenen Vorstellungswelt zu erweitern, besteht doch das Risiko, dass wir diese Art von Entwicklung als tiefgründig begreifen, obwohl sie in Wirklichkeit recht oberflächlich ist. Sie ist nicht mehr als ein langsamer Prozess, im Verlauf dessen wir mehr über die Dinge erfahren, die uns natürlich erscheinen und über die wir nachzudenken neigen. Es findet also nur eine allmähliche Entwicklung entlang eines vorbestimmten Pfades statt. Eine bedeutendere Spielart von Kreativität verbirgt sich hinter anderen Schranken.
    Ineinander verschachtelte Schubladen
    Um dies zu begreifen, kehren wir noch einmal zu unserer Schubladen-Metapher aus der Einleitung zurück, führen diese aber einganzes Stück weiter. Denn unser Denken wird in Wirklichkeit nicht nur von einer einzigen Schublade begrenzt, sondern von ineinander verschachtelten. Normalerweise ist man sich nur der inneren Schublade bewusst, die durch gezielte Infragestellung aufgeschoben werden kann, während die andere sorgsam vom Unterbewusstsein abgeschirmt wird. Da man die innere Schublade wahrnimmt, ist ganz klar, warum es so einfach ist, ihre Beschränkungen zu überwinden, mit anderen Worten: über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Im Alltagsleben spielt man allein mit dieser inneren Schublade, und die Erweiterung dieser gedanklichen Sphäre ermöglicht es einem, an blaues Ketchup zu denken oder eine lustige neue Werbekampagne zu erfinden. Jede Weitung dieser Schublade verschafft einem das angenehme Gefühl, etwas Neues und Kreatives vollbracht zu haben, und so erklärt es sich, dass die meisten Menschen, die an Projekten zur Ideenfindung beteiligt sind, sich auf die innere Schublade konzentrieren. Doch

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