Gefährliche Ideen
Informationen zu überschätzen und gleichzeitig unsere Neigung zu unterschätzen, diese Einflüsse in die Schubladen einzuordnen, mit denen unser Verstand bereits ausgestattet ist.
Das menschliche Gehirn ist von Natur aus faul, und obwohl es ein fantastisches Entwicklungspotenzial besitzt, nutzt es dieses nur, wenn man es dazu zwingt.
Überlässt man es sich selbst, wird es sich immer für den Weg des geringsten Widerstandes entscheiden, und das ist die bequeme, altbekannte Lösung – Psychologen bezeichnen dies als
kognitive Flüssigkeit
, und man muss diesen Impuls begreifen, um zu erkennen, wie schwer es ist, echte Kreativität zu entwickeln.
Um kreativer denken zu lernen, genügt es daher nicht, ein schlummerndes Talent zum Leben zu erwecken. Vielmehr geht es darum, tief verwurzelte Neigungen in unserem Denken zu bekämpfen und uns sogar gegen unsere neurologische Ausstattung aufzulehnen. Das ist harte Arbeit, genauso wie der Kampf gegen die zahlreichen Tricks, mit denen unser Gehirn uns zum Narren hält. Sehen wir uns einige davon an.
Kapitel 5
Sie sind ein Goldfisch
Das größte Wissen ist das Wissen
um die eigene Unwissenheit.
Konfuzius
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Ich glaube, dass Goldfische auf ihre eigene, bescheidene Art glücklich sind. Sie besitzen weder ein nennenswertes Gedächtnis noch haben sie große Erwartungen an das Leben. Sie stellen nichts Wesentliches infrage und neigen dazu, die Dinge einfach so hinzunehmen, wie sie nun einmal sind. Jeder von uns kennt jemanden, der ähnlich gestrickt ist, der scheinbar durchs Leben treibt, ohne allzu viel nachzudenken oder sich zu sorgen. Und jeder hat im Stillen schon einmal gedacht, dass es doch eigentlich ziemlich angenehm wäre, so zu leben. Doch wir sind anders oder wollen dies zumindest glauben. Niemand möchte von sich behaupten, ein gedanken- und besinnungsfreies Leben zu führen. Keiner will gerne zugeben, wie ein Goldfisch zu sein.
Dabei sind Sie – ganz genau, Sie, der dieses Buch in Händen hält – einem Goldfisch viel ähnlicher, als Sie glauben. Ich behaupte nicht, Sie seien unintelligent (alle meine Leser sind intelligent, und gutaussehend noch dazu) und hätten nach jeder Umdrehung in Ihrem Aquarium – Pardon, Apartment – alles vergessen und würden die Welt aufs Neue entdecken. Nichts läge mir ferner! Doch trotz aller Eigenschaften, die Sie zu einem klügeren, talentierteren, kompetenteren und intelligenteren Wesen als einem Goldfisch machen, gibt es doch etwas, das Sie einemGoldfisch ähneln lässt. Nicht nur Sie, natürlich, sondern jeden Menschen. In Bezug auf diese spezielle Eigenschaft gleiche auch ich einem Goldfisch. Denn ebenso wenig wie ein Goldfisch können wir unsere eigenen Lebenswelten objektiv wahrnehmen.
Ein Goldfisch verbringt sein ganzes Leben im Wasser und kennt keinen einzigen Moment, in dem er nicht vollkommen in dieser nassen Erfahrungswelt eingeschlossen ist. Doch würden wir einen Goldfisch bitten, uns die Eigenschaften von Wasser zu beschreiben (und besäße er eine Sprache und könnte kommunizieren), so wäre er dazu nicht imstande. Für einen Goldfisch ist Wasser alles, Anfang und Ende. Raubt man ihm dieses Element, so verschwindet nicht nur die ihm bekannte Welt, sondern sein Leben endet. Es gibt für einen Goldfisch nichts anderes. Wasser? Das ist für einen Fisch so allumfassend und allgegenwärtig, dass er es nicht als Gegenstand wahrzunehmen vermag, da es sein gesamtes Leben ausmacht. Doch das gilt nicht nur für Fische. Jeder von uns lebt in seinem eigenen kleinen Goldfischglas und nimmt Dinge als gegeben hin, die ihm als so selbstverständlich erscheinen, dass er sie sich einfach nicht anders vorstellen kann.
Apropos, ist Demokratie eigentlich etwas Positives? Das mag Ihnen als skurrile Frage erscheinen, sowohl in diesem Rahmen (oder weil sie den vorherigen Rahmen abrupt sprengt) als auch per se – warum sollte man so etwas Seltsames fragen? Natürlich ist Demokratie eine gute Sache. Welche Alternativen gibt es denn? Diktatur? Faschismus? Ja, Demokratie ist etwas Positives, doch gleichzeitig gehört sie zu jenen Dingen, die wir gar nicht mehr wahrnehmen – als so selbstverständlich erscheint sie uns. So fällt es uns schwer, nachzuvollziehen, wie die Menschen in Simbabwe einen Despoten wie Robert Mugabe ertragen können oder wie totalitäre Systeme überhaupt zustande kommen. Natürlich beschäftigen wir uns schon einmal mit möglichen Veränderungen demokratischer Spielregeln, etwa mit der
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