Gefährliche Ideen
sondern oft genug beängstigend und gefährlich. Hier finden wir die raue, ungehobelte Seite der Kreativität, die dem bequemen Denken ordentlich in den Hintern tritt, eine Herausforderung sogar für Ketzer. Das skurrile, unkonventionelle, unmögliche Lagosmag nicht der angenehmste Ort auf Erden sein, doch es könnte einem vielleicht das wahre Gesicht der Kreativität aufzeigen. Jenen Ort, an dem man außerhalb der Komfortzone lebt und arbeitet.
Wenn wir uns also in den folgenden Kapiteln mit dem Bruch von Norm(alität)en beschäftigen, folgen wir dabei dem Lagos-Stil. Wir werden es nicht in einer geordneten, planvollen Weise tun, sondern indem wir aus Komfortzonen ausbrechen und einige der Normen angreifen, die wir für gewöhnlich unbewusst mit aller Macht verteidigen. Dabei bewegen wir uns über Themen wie kognitive Flüssigkeit hinaus und betreten Sphären, die uns genauso wie Lagos als bedrohlich, provokant und ungemütlich erscheinen mögen.
Wir beginnen zunächst mit vier Bereichen normierten Denkens: dem
Angenehmen
, dem
Geschmackvollen
, dem
Angemessenen
und dem
Seriösen
– und wir werden sie alle demontieren. Jede einzelne dieser Normen steht für eine Denkschranke, und wer sie niederreißt, schafft Spielraum für die eigene Kreativität, von dem man vielleicht nie zu träumen gewagt hätte. Jeder Bruch mit einer Norm ist etwas viel Tiefgreifenderes, als es hübsche kleine Kreativspiele je sein könnten. Jeder derartige Bruch zwingt einen dazu, sich mit seiner eigenen Variante des Goldfischwassers auseinanderzusetzen. Doch wenn wir wollen, können wir das Goldfisch-Stadium überwinden. Der Weg dorthin ist nicht eben leicht, aber er ist wenigstens halbwegs begehbar.
Teil 2
Denken provozieren
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Kapitel 6
Es muss nicht immer nett sein
In den 30 Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror, Mord und Blut, aber dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!
Harry Lime in Der dritte Mann
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In seinem Bestseller
Die Vier-Stunden-Woche
erzählt Tim Ferriss die Geschichte, wie es ihm als völligem Amateur gelang, die chinesischen Meisterschaften im Kickboxen (Sanshou) zu gewinnen. Er betrachtete seine Teilnahme als Mutprobe und hatte nur vier Wochen Zeit, um sich auf das Turnier vorzubereiten. Er hätte unendlich viel trainieren und dabei versuchen können, einen cleveren Schlag oder Tritt zu finden, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Stattdessen entschied er sich für ein wenig gefährliches Denken. In der Erkenntnis, dass er vermutlich jeden Kampf verlöre, wenn er diesen auf konventionelle Art führte, studierte er eingehend die Kampfregeln. Dabei fiel ihm zweierlei auf. Zum einen stellte er fest, dass das offizielle Wiegen am Vortag der Wettkämpfe stattfand, und zum anderen, dass man durch technisches K. o. gewinnt, wenn der Gegner dreimal aus dem Ring fliegt. Was also tat Tim Ferriss? Mithilfe von Dehydrationstechniken verlor er unmittelbar vor dem Wiegen viel Gewicht, nur um dieses bis zu den Wettkämpfen via Hyperhydration wieder zuzulegen. Dies verschaffte ihm einen klaren Vorteil an schierer Masse und ermöglichte ihm auch, eine ganz neue Technikanzuwenden. Er kämpfte nach Art eines Sumoringers und schob seine Gegner einfach so lange immer wieder aus dem Ring, bis er durch TKO (totales Knock-out) gewonnen hatte. Obwohl sich die Schiedsrichter verärgert bis angewidert zeigten, gewann er die Meisterschaft mithilfe einer einzigen Technik – des rüpelhaften Schubses. Unsportlich? Ja, das könnte man wohl sagen. Effektiv? Absolut. Kreativ? Sehr sogar. Denn Kreativität muss nicht nett sein, um effektiv zu sein.
Wie bereits festgestellt, ist Kreativität weltweit zu einer Art Kuscheldecke der Geschäftswelt geworden, einem süßen alten Teddybären, den jeder mag. Noch nie wurde jemand dafür gefeuert, dass er »Kreativität« als Thema der jährlichen Firmenkonferenz vorschlug, und es ist allgemein bekannt, dass man jederzeit zustimmendes Kopfnicken erntet, wenn man nur mit ein paar Worten auf den weiteren Innovationsbedarf des Unternehmens hinweist. Viele Menschen halten dies für eine überaus gute Sache. Doch leider trifft das keineswegs zu. Vielmehr ist es eines der schlimmsten Dinge, die der Entwicklung von Kreativität nur passieren können. Wer sie zu einer so kontrollierten, polierten
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