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Gefährliche Ideen

Gefährliche Ideen

Titel: Gefährliche Ideen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alf Rehn
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Schaudern und Zurückweichen bei mir aus. Doch genau diese Reaktion fasziniert mich auch. Ich habe viele Jahre damit zugebracht, meinen Blick zu schärfen, um Kreativität dort entdecken zu können, wo andere sie nicht wahrnehmen (wollen), und kreative Impulse aufzuspüren, wo andere nicht im Traum danach suchen würden. Dennoch fällt es mir ungeheuer schwer, eine neue Foltermethode als kreativ zu bezeichnen, denn die Unmenschlichkeit, die Abscheulichkeit des Ganzen verhindert beinahe physisch, dass ich das Wort »Kreativität« zu ihrer Beschreibung verwende – und ich gelte immerhin als Experte!
    Es gibt irgendeine gedankliche Sperre, die uns davon abhält, den kreativen Gehalt von so etwas wie Folter zu diskutieren. Vielleicht ist das auch gut so. Doch wenn wir die Sache ernst nehmen und strikt analytisch betrachten wollen, müssen wir feststellen, dass keinerlei Regel uns davon abhält zu behaupten, dass ein Folterer kreativ sein kann. Ich habe Studien über Bestrafungs- und Verhörmethoden gelesen, die bei all ihrer Brutalität dennoch einenschier unglaublichen bestialischen Erfindungsreichtum erkennen lassen. Ich möchte sie trotzdem nicht ausführen und beschränke mich daher auf die Aussage, dass das obige Beispiel bei weitem nicht das Schlimmste ist, das mir bei der Lektüre begegnet ist. Es mag kultiviert erscheinen, solche Handlungen nicht als kreativ zu bezeichnen – manches sollte man wirklich nicht in gesitteter Umgebung diskutieren –, doch gleichzeitig ist die Gewohnheit, über unangenehme Dinge nicht zu sprechen, einer der sichersten Wege, um den Kreativitätsdiskurs zu zähmen und in eine Karikatur seiner selbst zu verwandeln.
    Kreatives Unbehagen
    Ein Blick auf firmeninterne Diskussionsprozesse zeigt einige Ähnlichkeiten. Wir verschließen die Augen vor Folter, da sie so erbärmlich und unethisch ist, doch gleichzeitig gibt es viele Elemente innerhalb des betrieblichen Alltags, die wir ebenso gern ausblenden. Obwohl diese sich mit der Verderbtheit von Folter nicht wirklich messen können, geschehen in einem Unternehmen viele Dinge, die so unangenehm sind und mit denen man sich so ungern beschäftigt, dass wir sie lieber als unbedeutend abtun. Dazu könnte etwa gehören, dass die Belegschaft nur aus weißen, heterosexuellen Männern mittleren Alters besteht, die alle der Mittelklasse angehören, während sich andere Unternehmen mit ihrer kreativen Vielfalt schmücken. Vielleicht haben die Wettbewerber ihre Geschäftsmodelle so ausgerichtet, dass unsere aktuelle Strategie zum Scheitern verurteilt scheint. Womöglich geht es auch darum, wie das Unternehmen geführt wird, oder sogar, ob es überhaupt geführt werden sollte.
    Natürlich scheint es, als hätten diese Fragen kaum etwas mit dem Übel der Folter gemeinsam, doch sie alle könnten in einemUnternehmen tabuisiert sein, sodass niemand gern darüber spricht. Lassen Sie mich ein Beispiel anführen. Als Berater auf Zuruf war ich einst für ein Unternehmen tätig, das sich auf eine technische Dienstleistung spezialisiert hatte. In diesem Beispiel gab es ein Gebiet, über das niemand sprechen wollte, einen besonderen Punkt kreativen Unbehagens : das Thema »Know-how«.
    Schmerz und Tabu
    Punkte des Unbehagens sind jene, an denen wir normalerweise nachgeben und unsere Bemühungen einstellen, da uns der Schmerz signalisiert, dass Körper und Geist sich gegen eine bestimmte Form von Anstrengung schützen möchten. Wenn Sie körperliche Arbeit leisten, sollten Sie dieses Signal ernst nehmen und Ihre Muskeln nicht allzu weit über den Punkt hinaustreiben, bei dem die Belastung dem Körper schaden könnte. Mit dem Verstand verhält es sich jedoch anders. Während der Körper durch übermäßige physische Belastung Schaden nehmen kann, ist das Gehirn ein weitaus widerstandfähigeres und elastischeres Organ. Doch wir nutzen diesen Vorteil viel zu selten, um unseren Verstand aus seiner Komfortzone herauszudrängen und festzustellen, was man alles erreichen könnte. Innerhalb der Komfortzone ist alles leicht, selbstverständlich und sicher, ja sogar heilig.
    Um auf meine Geschichte zurückzukommen: In dem Unternehmen, das wir Sordin nennen wollen 3 ,waren alle mit dem firmeneigenen Know-how-Konzept höchst zufrieden. Man könnte fast sagen, es war ihr höchstes Heiligtum. Wer über das eigene Unternehmen sprach, erwähnte stets dieses Thema. Es fehlte auch in keiner einzigen Vision, keiner Strategie und keinem Wertekodex, den das Unternehmen je entwickelt

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