Gefährliche Ideen
die einem nett, lustig oder passend erscheinen. Nein, Kreativität bedeutet vielmehr den Aufbruch zu neuen Horizonten.
Unser erster Angriff auf die geheimen Schubladen wird deshalb darin bestehen, dem Unangenehmen gegenüberzutreten und es ernst zu nehmen . Anstatt zu fragen, welche neuen Ideenman unter Idealbedingungen entwickeln könnte, stellen wir das Ganze auf den Kopf: Über welche Fragenmöchten wir
nicht
reden, welche Themen möchten wir
keinesfalls
auf dieTagesordnung der Konferenz setzen, über welche Aspekte möchten wir
nicht
sprechen, wenn das Thema lautet: »Wie können wir als Mitarbeiter von Unternehmen X kreativer werden?« Faszinierend … Welche Spielarten von Kreativität könnte es geben, die wir ignorieren und vernachlässigen, weil sie verdammt noch mal einfach nicht nett genug sind?
Verbrechen und Strafe
Denken Sie beispielsweise an kriminelle Kreativität. Natürlich gibt es so etwas. Aber das wussten Sie bereits, stimmt’s? Vermutlich sagen Sie jetzt »Na klar!«, da sie die Filme
Ocean’s Eleven
,
Twelve
und
Thirteen
gesehen haben. Aber begreifen Sie wirklich, worauf ich hinaus will? Natürlich können wir alle über die Kreativität eines Einbrechers, Steuerhinterziehers oder Mörders plaudern, doch bedeutet dies, dass wir auch daran denken, wenn wir über Kreativität sprechen? Nutzen wir dies als Inspirationsquelle, wenn wir versuchen, unsere eigene Kreativität zu entwickeln? Auf einer analytisch-rationalen Ebene erkennen wir natürlich diese Art von bösartiger Kreativität als echt an, doch viel lieber beschäftigen wir uns doch mit den angenehmeren Spielarten.
Warum ist das so? Wir engen unser Gesichtsfeld aus vielerlei Gründen ein. Dazu gehört unter anderem unser Bestreben, als seriöse Individuen wahrgenommen zu werden. Wir möchten nicht, dass andere Menschen unsere Motive oder Interessen hinterfragen, daher dämpfen wir den Teil unserer Gedankenwelt, bei dem wir uns der Zustimmung unserer Mitmenschen unsicher sind. Die Schule ist natürlich eine der Hauptinstitutionen, bei denen die Abtötung alternativer Kreativitätsformen zum Programm gehört. Während unserer Zugehörigkeit zu einem Unternehmen lernen wir, niemanden vor den Kopf zu stoßen oder als albern zu gelten. Nach einer Weile beginnt uns dieses Verhalten in Fleisch und Blut überzugehen, sodass wir unbewusst solche Gedanken unterdrücken, die uns als nicht öffentlichkeitstauglich erscheinen. Der wahre Feind der Kreativität ist daher nicht der Chef oder die Schule: Wir sind es selbst.
Doch was geschähe, wenn wir anders handelten und uns nicht nur an die angenehmen Beispiele hielten? Könnte uns beispielsweise eine Untersuchung von Folterpraktiken zu neuen Einsichten über Kreativität verhelfen? Ich versichere Ihnen, dass diese Frage noch niemals bei irgendeinem Kreativitätsseminar zum Thema gemacht wurde – auch wenn man sich dabei oft wie in einer Folterkammer vorkommt. Doch wer sich die vielfältigen Praktiken ansieht, mit denen totalitäre Staaten die Gefangenen in ihren Kerkern misshandeln, erkennt leicht einen bemerkenswerten Grad an Erfindungsreichtum, ebenso wie dort, wo schlaue Rechtsanwälte sich für Folt … – Verzeihung, ich meine natürlich »verschärfte Verhörmethoden« durch den CIA einsetzen. Natürlich lassen Folterfälle ein erschreckendes Ausmaß an Bösartigkeit sowie eine verabscheuungswürdige Geringschätzung von Menschlichkeit und Menschenrechten erkennen, aber dennoch …
Allein die große Anzahl an Methoden, die clevere (wenn auch vermutlich soziopathisch veranlagte) Menschen ersonnen haben,um anderen Menschen mithilfe von Strom Schmerzen zuzufügen, ist mehr als erstaunlich, von den zahllosen weniger techniklastigen Foltermethoden einmal ganz zu schweigen. Gerade heute las ich einen Bericht über das afrikanische Land Eritrea, in dem folgende Strafe üblich zu sein scheint: Der Delinquent wird in den Radialreifen eines Lkws gesteckt; anschließend wird mit Knüppeln auf den Reifen (und das Folteropfer) eingeschlagen. Aus dem Zusammenspiel von Schlägen, der unbequemen Haltung, den Schwingungen des Reifens und dem Unbehagen, das der Einschluss in einem so engen Raum bereitet, ergibt sich eine kaum vorstellbare Tortur.
Eine ziemlich unangenehme Vorstellung, was? Zweifellos, aber nichtsdestotrotz kreativ. Bitte beachten Sie, dass es mir keineswegs darum geht, Folter zu rechtfertigen oder zu verharmlosen. Tatsächlich löst schon der Gedanke an kreative Folter ein inneres
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