Gefährliche Ideen
Tag legen würden, um anschließend genau diese Dinge zu tun.
Kapitel 7
Ekeln Sie sich – und andere
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Eines meiner absoluten Lieblingsprodukte ist eine ganz bestimmte Süßigkeit, die in einer sehr merkwürdigen Verpackung daherkommt. Das besagte Produkt ist ein Plastikohr, dessen Gehörkanal mit einem Pfropfen verstopft ist. Dieser lässt sich entfernen, und sobald man dies getan hat, kann man das Ohrenstäbchen entnehmen, das der Hersteller freundlicherweise mitliefert, und damit beginnen, die reichlich vorhandenen Schmalzschichten zu verspeisen, die sich innerhalb des Ohrs befinden. Witzig, oder? Natürlich ist das Ohrenstäbchen nicht wirklich das, wonach es aussieht, und das Ohrenschmalz ist in Wirklichkeit eine extrem süße klebrige Masse, die für Kinder absolut unwiderstehlich ist. Mir schmeckt sie zwar nicht sonderlich gut, aber ich bewundere ihre durchschlagende Wirkung auf andere Menschen. Wenn ich nämlich in meinen Vorträgen dieses Produkt erwähne, muss ich nur die magischen Worte »… und dann isst man das Ohrenschmalz« aussprechen, und schon erschaudert das Publikum und zuckt instinktiv zurück. In größeren Sälen ist ein vernehmliches »Iiiiih« zu hören, das durch den Raum hallt. Fantastisch! Das Verspeisen von Ohrenschmalz ist eine sehr ekelhafte Vorstellung – und damit ein wunderbares Beispiel für kreatives Denken.
Das Faszinierende an dieser Art von Reaktion und dem damit verbundenen Ekelgefühl liegt darin, dass wir daran die Wirkungsweise von Kreativität erkennen können. Kehren wir dafürnoch einmal zu dem Moment zurück, in dem sich der Ekel offenbart. Stellen Sie sich nun bitte vor, Sie säßen mit im Publikum. Ich spreche direkt zu Ihnen und sage vielleicht: »… und dann essen Sie das Ohrenschmalz einfach so, mmh, lecker!« Sie denken einen Augenblick darüber nach – und bereuen diesen Gedanken sofort. Vielleicht bilden Sie sich einen Moment lang sogar ein, Sie hätten wirklich gerade Ohrenschmalz probiert, und das fühlt sich natürlich alles andere als angenehm an. Sie wenden sich angewidert ab, runzeln die Stirn, und das Wort »Igitt« schwirrt Ihnen im Kopf herum.
Was geschieht in diesem Moment? Früher in Ihrem Leben, als Sie noch ein Kind waren, haben Sie derartige Reaktionen vermutlich selten gezeigt. Damals interessierte es Sie, wie solche Dinge wie Ohrenschmalz, Schnodder oder vielleicht auch Urin wohl schmeckten. Sie waren noch nicht so leicht zu schockieren, doch dann passierte etwas. Sie lernten, dass manche Dinge angemessen und gut sind, andere hingegen ekelhaft und unanständig. Wenn Sie bemerkten, dass einer Ihrer Mitschüler in der Nase bohrte, riefen Sie: »Mann, das ist ja ekelhaft!« Sie hatten bereits gelernt und verinnerlicht, was als schicklich galt und was nicht, und im Verlauf dieses Prozesses ist ein Teil Ihrer Kreativität abgestorben.
Denken Sie noch einmal an den Moment zurück, als der Ekel einsetzte. Ihr Gefühl, der aufkommende Widerstand, die beinahe physische Abwehr sind klassische Beispiele dafür, wie sich gedankliche Schranken in Reinform manifestieren. In diesem Moment können Sie Ihre geheimen Schubladen tatsächlich spüren. Wenn der Ekel einsetzt, schaltet sich ein Teil Ihres Gehirns praktisch ab. Sie zucken zurück und verlieren dadurch den Zugriff auf Teile Ihres gedanklichen Potenzials. Das Seltsame dabei ist, dass Ihr eigener Verstand für diese Beeinträchtigung und Abschottung sorgt. Er schaltet sich sozusagen selbst ab. Das Ekelgefühlgleicht einer sehr beschränkten Lobotomie, die das Gehirn an sich selbst vornimmt, mit dem Ziel, sein Integritätsgefühl zu schützen und die Schranken kontrollierten Denkens aufrechtzuerhalten.
Doch das Ekelgefühl hat auch Vorteile: Wir erkennen hier sehr konkret unsere gedanklichen Beschränkungen. Der Widerstand, den wir verspüren, stellt sich als beinahe physische Barriere dar – und dies ist vermutlich die bestmögliche Annäherung an eine Erfahrung, bei der wir die geheimen Schubladen auf einer phänomenologischen Ebene wahrnehmen. In unserem Inneren entsteht ein Spannungsgefühl, das uns abstößt; der Ekel und ähnliche Empfindungen gleichen beinahe dem Gefühl, das einen ergreift, wenn man an einer Schwelle abgeblockt oder darin gehindert wird, einen Ort zu betreten.
Fette Ente
Im letzten Kapitel ging es um die Anziehungskraft und die Fallstricke von angenehmen Gefühlen und Gedanken. Das Ekelgefühl ist ein sehr eindringliches Beispiel dessen, was nicht
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