Gefaehrliche Liebe
steckte. Er wurde auf den Platz gebracht, zu einem Schuldgeständnis gezwungen und zu einer Auspeitschung verurteilt, die sofort vollzogen wurde. Als ich kam, hatte er schon mindestens vierzig Peitschenhiebe hinter sich. Ungefähr bei dreißig verlor er das Bewusstsein.
»Ein Glück, dass er nur den Truthahn bei sich hatte«, sagt Bristel. »Wenn er seinen üblichen Fang gehabt hätte, war es ihm noch viel schlimmer ergangen.«
»Er hat Thread erzählt, er hätte den Truthahn gefunden, als er im Saum rumlief. Das Vieh war über den Zaun geflogen und er hätte es mit einem Stock abgestochen. Immer noch ein Verbrechen. Aber wenn sie gewusst hätten, dass er mit Waffen im Wald war, hätten sie ihn garantiert umgebracht«, sagt Thom.
»Was ist mit Darius?«, fragt Peeta.
»Nach ungefähr zwanzig Hieben ist er eingeschritten und hat gesagt, es sei genug. Nur hat er es nicht so geschickt und förmlich gemacht wie Purnia. Er hat Thread am Arm gepackt und da hat Thread ihm mit dem Griff der Peitsche auf den Kopf gehauen. Für Darius sieht es nicht besonders rosig aus«, sagt Bristel.
»Es sieht wohl für keinen von uns besonders rosig aus«, sagt Haymitch.
Es fängt an zu schneien, dicke nasse Flocken, dadurch kann ich noch schlechter sehen. Ich stolpere hinter den anderen her bis zu unserem Haus, lasse mich mehr von meinen Ohren leiten als von meinen Augen. Meine Mutter, die natürlich auf mich gewartet hat, nachdem ich einen langen Tag ohne Erklärung weggeblieben bin, versucht zu begreifen, was sie sieht.
»Neuer Oberster«, sagt Haymitch, und sie nickt nur kurz, als würde das alles erklären.
Wie immer erfüllt mich Ehrfurcht, als ich sehe, wie sie sich von der Frau, die mich ruft, damit ich eine Spinne töte, in eine Frau verwandelt, die immun ist gegen Angst. Wenn man ihr einen kranken oder sterbenden Menschen bringt... ich glaube, das sind die einzigen Momente, in denen meine Mutter weiß, wer sie ist. Im Nu ist der lange Küchentisch abgeräumt, ein steriles weißes Tuch wird darüber ausgebreitet und Gale hinaufgelegt. Meine Mutter gießt Wasser aus einem Kessel in eine Schüssel und lässt Prim verschiedene Medikamente aus dem Arzneischrank holen. Getrocknete Kräuter und Tinkturen und im Laden gekaufte Flaschen. Ich beobachte die Hände meiner Mutter, die langen, schmal zulaufenden Finger, die etwas in die Schüssel bröseln und Tropfen dazugeben. Sie tränkt ein Tuch in der heißen Flüssigkeit und weist Prim an, frisches Wasser aufzusetzen.
Meine Mutter schaut zu mir. »Bist du im Auge getroffen worden?«
»Nein, es ist nur zugeschwollen«, erkläre ich.
»Pack noch mal Schnee drauf«, sagt sie. Aber es gibt Wichtigeres als mich, das ist deutlich.
»Kannst du ihn retten?«, frage ich. Sie sagt nichts, während sie das Tuch auswringt und es in die Luft hält, damit es ein wenig abkühlt.
»Keine Bange«, sagt Haymitch. »Vor Crays Zeit wurde hier eine Menge gepeitscht. Wir haben sie immer alle zu deiner Mutter gebracht.«
An eine Zeit vor Cray kann ich mich nicht erinnern, an eine Zeit, als es einen Obersten Friedenswächter gab, der häufigen Gebrauch von der Peitsche machte. Da muss meine Mutter in meinem Alter gewesen sein und noch bei ihren Eltern in der Apotheke gearbeitet haben. Selbst damals hatten ihre Hände schon heilende Kräfte.
Ganz sanft beginnt sie das zerfetzte Fleisch auf Gales Rücken zu säubern. Ich fühle mich elend, nutzlos, der restliche Schnee tropft von meinem Handschuh und bildet auf dem Fußboden eine Pfütze. Peeta setzt mich in einen Sessel und hält mir ein Tuch mit frischem Schnee an die Wange.
Haymitch schickt Bristel und Thom nach Hause, und ich sehe, dass er ihnen Münzen in die Hand drückt, bevor sie gehen. »Keine Ahnung, was mit eurer Mannschaft passiert«, sagt er. Sie nicken und nehmen das Geld.
Da kommt Hazelle, atemlos, die Wangen gerötet und Schnee im Haar. Stumm setzt sie sich auf einen Hocker am Tisch, nimmt Gales Hand und drückt sie an die Lippen. Nicht einmal auf sie reagiert meine Mutter. Sie ist in diese gewisse Sphäre eingetreten, in der nur sie und der Patient Platz haben, hin und wieder auch Prim. Wir anderen können warten.
Trotz ihrer kundigen Hände dauert es lange, bis die Wunden gesäubert sind, bis das, was von der zerfetzten Haut noch zu retten ist, halbwegs hergerichtet, bis eine Salbe aufgetragen und ein leichter Verband umgelegt ist. Als das Blut weniger wird, sehe ich, wo jeder einzelne Peitschenhieb aufgekommen ist, und spüre
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