Gefaehrliche Liebe
zweimal im Verlauf der Vorbereitung bricht jeder von ihnen in Tränen aus und Octavia wimmert den ganzen Vormittag über vor sich hin. Offenbar haben sie mich tatsächlich ins Herz geschlossen, und die Vorstellung, dass ich noch einmal in die Arena zurückmuss, macht sie völlig fertig. Dass sie zusammen mit mir auch die Zutrittsberechtigung zu all den großen gesellschaftlichen Anlässen - insbesondere meiner Hochzeit - verlieren werden, macht es vollends unerträglich. Der Gedanke, für einen anderen stark zu sein, ist ihnen noch nie gekommen, und daher bin jetzt plötzlich ich es, die sie trösten muss. Das nervt ein bisschen, schließlich soll ich mich abschlachten lassen, nicht sie.
Aber es ist doch interessant, was Peeta über den Diener im Zug gesagt hat - er sei nicht glücklich darüber, dass die Sieger noch mal kämpfen müssen. Und es gebe auch Leute im Kapitol, die das nicht gut fänden. Meiner Meinung nach wird all das zwar vergessen sein, sobald der Gong ertönt und die Spiele beginnen, aber dass die Leute im Kapitol überhaupt etwas für uns empfinden, ist schon eine kleine Offenbarung. Mit anzusehen, wie Jahr für Jahr aufs Neue junge Menschen getötet werden, bereitet ihnen anscheinend keinerlei Problem. Aber über die Sieger und besonders über die, die seit ewigen Zeiten Berühmtheiten sind, wissen sie vielleicht zu viel, um zu vergessen, dass wir auch Menschen sind. Plötzlich müssen sie selbst den eigenen Freunden beim Sterben zusehen. Als hätten sich die Distrikte die Spiele ausgedacht!
Als Cinna sich blicken lässt, bin ich vom vielen Trösten gereizt und erschöpft, vor allem, weil das ständige Geheule mich an die Tränen erinnert, die zweifellos zu Hause um uns vergossen werden. Wie ich so in meinem dünnen Gewand dastehe und auf der Haut und im Herzen die Stiche spüre, wird mir bewusst, dass ich noch so einen mideidvollen Blick nicht ertrage. Deshalb blaffe ich Cinna, als er durch die Tür kommt, sofort an: »Wenn du jetzt auch noch weinst, bringe ich dich auf der Stelle um, das schwöre ich.«
Cinna lächelt nur. »War's feucht heute Vormittag, oder was?«
»Du könntest mich auswringen«, erwidere ich.
Cinna legt mir den Arm um die Schultern und führt mich an den Mittagstisch. »Keine Bange. Ich lasse meine Gefühle nur in meine Arbeit einfließen. Auf diese Weise tue ich niemandem weh außer mir selbst.«
»Ich steh das nicht noch mal durch«, warne ich ihn.
»Ich weiß. Ich werde mit ihnen reden«, sagt Cinna.
Das Mittagessen tut mir gut. Fasan in juwelenfarbenem Aspik, Miniaturausgaben echter Gemüse, in Butter geschwenkt, sowie Kartoffelbrei mit Petersilie. Zum Nachtisch tunken wir Obststücke in einen Topf mit flüssiger Schokolade. Ich löffele das Zeug pur in mich hinein, sodass Cinna einen zweiten Topf bestellen muss.
»Und was werden wir bei der Eröffnungsfeier tragen?«, frage ich schließlich, während ich den zweiten Topf auskratze. »Stirnlampen oder Feuer?« Ich weiß, dass Peeta und ich während der Wagenparade irgendetwas an uns haben müssen, das mit Kohle zu tun hat.
»Etwas in der Art«, sagt Cinna.
Als es Zeit ist, die Kostüme für die Eröffnungsfeier anzulegen, erscheint mein Vorbereitungsteam wieder, doch Cinna schickt sie fort mit der Bemerkung, sie hätten ihren Job am Vormittag so fantastisch erledigt, dass nichts mehr zu tun sei. Dankbar ziehen sie sich zurück, um sich zu erholen, und überlassen mich Cinnas Händen. Als Erstes steckt er mein Haar in Zöpfen hoch, wie meine Mutter es gezeigt hat, dann widmet er sich meinem Make-up. Letztes Jahr hat er nur sehr wenig benutzt, damit das Publikum mich in der Arena wiedererkennt. Doch jetzt wirkt mein Gesicht mit den dramatischen Highlights und dunklen Schatten ganz fremd. Stark gewölbte Augenbrauen, markante Wangenknochen, glühende Augen, tiefviolette Lippen. Mein Outfit macht auf den ersten Blick nicht viel her, ein maßgeschneiderter schwarzer Overall, der mich vom Hals abwärts umschließt, mehr nicht. Cinna setzt mir eine halbe Krone auf den Kopf, die so aussieht wie die Krone, die ich als Siegerin aufgesetzt bekommen habe, nur dass diese hier nicht aus Gold ist, sondern aus schwerem schwarzem Metall. Dann dimmt er das Licht im Raum zu einem Halbdunkel und drückt auf einen Knopf im Stoff unten am Ärmel. Ich schaue nach unten und sehe fasziniert, wie mein Kostüm langsam zum Leben erwacht, ein sanftes goldenes Licht, das sich nach und nach in das Orangerot eines Kohlenfeuers verwandelt. Ich
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