Gefaehrliche Liebe
Portia sagt, wir sollen diesmal über allem stehen. Kein Winken oder so was«, sagt er. »Wo stecken die beiden eigentlich?«
»Ich weiß nicht.« Ich suche die Prozession der Wagen ab. »Vielleicht sollten wir uns lieber selbst einschalten.« Das tun wir, und sobald wir aufleuchten, deuten die anderen auf uns und fangen an zu tuscheln. Ich weiß, dass wir auch diesmal das Gesprächsthema Nummer eins der Eröffnungsfeier sein werden. Wir sind fast am Tor. Ich recke den Hals, doch weder Portia noch Cinna, die voriges Jahr bis zur letzten Sekunde bei uns waren, sind irgendwo zu sehen. »Sollen wir dieses Jahr auch Händchen halten?«, frage ich.
»Ich glaube, das wollen sie uns überlassen«, sagt Peeta.
Ich schaue in diese blauen Augen, die kein noch so dramatisches Make-up gefährlich erscheinen lassen kann, und denke daran, dass ich noch vor einem Jahr bereit war, ihn zu töten. Weil ich überzeugt war, dass er versuchen würde, mich zu töten. Nun ist es genau umgekehrt. Ich bin entschlossen, ihn zu retten, und ich weiß, dass es mich mein eigenes Leben kosten wird, aber der Teil von mir, der nicht so tapfer ist, wie ich es gern hätte, ist froh, dass jetzt Peeta neben mir steht und nicht Haymitch. Ohne weitere Diskussion finden sich unsere Hände. Keine Frage, wir werden uns dieser Sache gemeinsam stellen.
Als wir in die Abenddämmerung hinausrollen, bricht die Menge in Geschrei aus, aber keiner von uns beiden reagiert. Ich starre einfach auf einen Punkt in der Ferne und tue so, als gäbe es keine Zuschauer, keine Hysterie. Unwillkürlich fällt mein Blick auf die riesigen Bildschirme entlang der Strecke und ich erhasche ein paar Bilder von uns: Wir sind nicht nur schön, wir sind düster, mächtig. Mehr noch. Das tragische Liebespaar aus Distrikt 12, das so viel gelitten hat und die Früchte des Sieges so wenig hat auskosten dürfen, sucht nicht nach der Gunst der Fans, schenkt ihnen kein Lächeln, fängt nicht ihre Küsse auf. Wir sind unversöhnlich.
Und ich genieße es. Endlich mal ich selbst sein.
Als wir in den Kreisverkehr des Zentralen Platzes einbiegen, stelle ich fest, dass ein paar von den anderen Stylisten Cinnas und Portias Idee geklaut und ihre Tribute beleuchtet haben. Die mit kleinen elektrischen Lämpchen übersäten Outfits aus Distrikt 3, wo Elektronik hergestellt wird, haben ja noch einen gewissen Sinn. Aber die Viehhüter aus Distrikt 10, die angezogen sind wie Kühe mit brennenden Gurten um den Bauch? Wollen die sich selbst grillen? Lächerlich.
Peeta und ich dagegen in unserem sich dauernd verändernden Kohle-Kostüm wirken so hypnotisierend, dass die meisten anderen Tribute uns nur anstarren. Besonders fasziniert ist offenbar das Paar aus Distrikt 6, von dem bekannt ist, dass sie Morfixer sind: beide klapperdürr und mit schlaffer gelblicher Haut. Sie können die übergroßen Augen gar nicht abwenden, selbst dann nicht, als Präsident Snow auf seinem Balkon zu reden beginnt und uns alle zum Jubel-Jubiläum willkommen heißt. Die Hymne erklingt, und während wir das letzte Stück fahren - irre ich mich? Oder starrt sogar der Präsident mich an?
Peeta und ich warten, bis die Tore des Trainingscenters sich wieder hinter uns geschlossen haben. Erst dann entspannen wir uns. Cinna und Portia erwarten uns, sie sind angetan von unserem Auftritt, und dieses Jahr ist sogar Haymitch erschienen, nur dass er nicht zu uns kommt, sondern am Wagen von Distrikt 11 steht. Ich sehe, wie er in unsere Richtung nickt, und dann kommen sie allesamt herüber, um uns zu begrüßen.
Chaff kenne ich vom Sehen, ich habe jahrelang im Fernsehen verfolgt, wie er sich mit Haymitch die Flasche teilt. Er ist dunkelhäutig, gut eins achtzig groß, und einer seiner Arme endet in einem Stumpf, weil er die dazugehörige Hand in den Hungerspielen verloren hat, die er vor dreißig Jahren gewann. Bestimmt hat man ihm künstlichen Ersatz angeboten wie Peeta, als dem der Unterschenkel amputiert werden musste, aber wie es aussieht, hat er abgelehnt.
Die Frau, Seeder, sieht mit ihrer olivfarbenen Haut und dem glatten schwarzen Haar mit den silbernen Strähnen fast aus, als stammte sie aus dem Saum. Nur ihre goldbraunen Augen verraten den fremden Distrikt. Sie dürfte um die sechzig sein, aber sie sieht immer noch stark aus, und nichts deutet darauf hin, dass sie sich über die Jahre in Alkohol oder Morfix oder sonst eine chemische Substanz geflüchtet hätte. Bevor einer von uns etwas sagen kann, umarmt sie mich. Wegen Rue
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