Gefaehrliche Maskerade einer Lady
Wildkatze.
Sein Kammerdiener Higgins hatte die Schrammen am Morgen entdeckt. Er hatte Rafe mit einer leicht hochgezogenen Braue betrachtet, doch er war zu wohlerzogen, um ein Wort darüber zu verlieren. Stattdessen hatte Higgins ihn vorsichtig rasiert und anschließend Heilsalbe auf die Schürfwunden aufgetragen. Er war der Ansicht, dass es sich gerade in südlichen Klimazonen empfehle, auch kleinste Wunden zu versorgen.
Rafe ging hinunter in den Frühstücksraum, wo Ali bereits frisch gewaschen und gekämmt am Tisch saß und sich den Bauch mit Toast, Bratwürstchen und Rührei vollstopfte. Higgins, in dessen Obhut Rafe den Jungen gegeben hatte, saß neben ihm und bemühte sich, Ali die Grundbegriffe englischer Tischmanieren beizubringen. Er missbilligter Rafes Anweisung, den Jungen hier frühstücken zu lassen. So ein verlottertes Gassenkind wie Ali sollte froh sein, wenn es in der Küche etwas zu essen bekam.
Als Rafe eintrat, stand Higgins auf.
Ali hob nur den Kopf und winkte ihm mit der Gabel in der kleinen Faust fröhlich entgegen. Sein Mund war gefüllt mit lauter Köstlichkeiten, Ali wollte sein Frühstück auf keinen Fall unterbrechen.
Seufzend zog Higgins den Jungen am Kragen auf die Füße. „Sag ,Guten Morgen Sir“‘, befahl er und vollführte eine respektvolle Verneigung.
Aus Angst, fortgejagt zu werden, griff Ali schnell noch eine Wurst vom Teller und stopfte sie in seinen Mund. Mit dem großen Bissen zwischen den Zähnen grinste er keck. „Guunmorrensör, sessamöffndisch“, sagte er und verbeugte sich übertrieben tief, nur um sofort wieder auf den Stuhl zu klettern und sich erneut seinem Frühstück zu widmen.
Rafe lachte leise. Frecher kleiner Bengel. „Vielen Dank, Higgins. Sabaah el kheer“, begrüßte er Ali auf Arabisch.
Ali sah ihn erstaunt an und antwortete mit einem Schwall arabischer Worte.
Rafe hob abwehrend die Hand. „Langsam, langsam, mein Kleiner“, sagte er. „Ich spreche nur ein paar Brocken deiner Sprache.“
Er trat an die Anrichte und häufte eine Portion Rührei und Bratwürstchen auf den Teller. Diese bedeckten Silberschüsseln auf der Anrichte entsprachen exakt der aristokratischen Frühstückskultur seiner Heimat und muteten ihn befremdlich an. Allerdings wurde dieses Haus mitsamt einer Hand voll Bediensteter seit einigen Jahren an durchreisende Engländer vermietet. Die Diener waren über die Gepflogenheiten ihrer Herrschaften sorgfältig unterrichtet worden, andernfalls hätte Higgins das Personal darin unterwiesen. Er war ein Mann, der peinlich genau auf Anstand und Tradition achtete. Higgins war weit mehr als ein Kammerdiener.
Der erste Biss in ein saftiges Bratwürstchen eröffnete Rafe ein neues exotisches Geschmackserlebnis. Es stand in keinem Vergleich zu einem englischen Würstchen. Diese hier war aus fein gehacktem Lammfleisch und scharf sowie mit allerlei Kräutern gewürzt. Rafe erinnerte der Geschmack an die Würstchen, die er während des Krieges gegen Napoleon in Portugal und Spanien verspeist hatte. Er seufzte selig: „Köstlich!“
Wichtiger aber war, dass er entgegen allen Erwartungen die junge Miss Cleeve gefunden hatte. Sie lebte, sie war gesund und wohlauf und war nicht als Sklavin an einen Harem verkauft worden.
Was zum Teufel aber hatte ihn dazu bewogen, sie laufen zu lassen?
Wenn sie heute nicht zu ihm kam, würde er mit seiner Suche wieder ganz von vorne anfangen müssen.
Ein Küchenboy brachte frischen Kaffee und goss Rafe eine Tasse davon ein. „Hat Miss Cleeve schon von sich hören lassen, Higgins“, fragte er beiläufig.
„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Sir. Ich habe mit diesem kleinen Wilden alle Hände voll zu tu. Wisch dir den Mund an der Serviette ab, nicht am Ärmel“, ermahnte er Ali und reichte ihm eine Serviette.
Ali ließ sie schleunigst in seiner Hosentasche verschwinden.
Aus der Halle ertönte die Türglocke.
Rafe trank zufrieden seinen Kaffee. Ausgezeichnet, er hatte sie also nicht verloren. „Gehen Sie bitte zur Tür, Higgins? Das wird Miss Cleeve sein.“
Rafe erhob sich beim Eintreten seiner Besucherin, die wie ein Straßenbettler verkleidet war. Ihr Blick wirkte gehetzt und ihre Augen suchten Ali, nur um sich zu vergewissern, dass es ihm gut ging. Dann sah sie sich nervös um, bevor sie auch Rafe wahrnahm.
Dachte sie vielleicht, er hätte ein halbes Dutzend Banditen engagiert, damit sie sich aus dem Hinterhalt auf sie stürzen könnten? Ihr Misstrauen schürte seinen Unmut. Gott allein
Weitere Kostenlose Bücher