Gefaehrliche Maskerade einer Lady
muss schrecklich beängstigend gewesen sein, allein mit Ihrem toten Vater hier zu bleiben.“
Ayisha wollte nicht daran denken.
„Waren Sie ebenfalls krank? Man hat damals zwei Leichen im Haus gefunden und zwar die von Sir Henry und von einer Frau, eine Art Dienerin.“
„Ich werde nie krank“, fiel sie ihm trotzig ins Wort. Eine Art Dienerin, dachte sie bestürzt. War das Mutters Grabinschrift?
„Sind Sie also fortgelaufen, weil Sie Angst hatten, krank zu werden?“
Sie schwieg betreten, während diese durchdringenden blauen Augen sie durchbohrten.
„Ich sagte doch, ich werde nie krank.“ Sie konnte diese Stille nicht ertragen.
Er nickte. „Verstehe. Aber ich begreife nicht, warum Sie weggelaufen sind. Warum haben Sie nicht gewartet, bis ihnen jemand von den Ordnungskräften oder vom Britischen Konsulat helfen konnte? Diese Leute hätten sich Ihrer angenommen.“
Sie kämpfte verbissen darum, sich ihre Erregung nicht anmerken zu lassen. So viele Erinnerungen wirbelten durch ihren Kopf, aufgewühlt durch diesen Raum und die bohrenden Fragen des Engländers. Bilder, die sie in den tiefsten Winkel ihrer Seele gedrängt und verschlossen hatte, traten wieder deutlich hervor. Sie sah den bleichen, ausgemergelten Leichnam ihres Vaters, der kalt und starr dalag, und ihre Mutter, die von der Krankheit gezeichnet völlig verstört und verzweifelt immer wieder sein weißes Laken glatt strich.
Ayisha griff nach einem Kissen und nestelte verstört an den Seidenfransen. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich war nicht hier.“ Sie wich dem Blick des Engländers aus. Sie war keine gute Lügnerin, das wusste sie selbst. Die Wahrheit zu verdrehen, fiel ihr nicht schwer, aber jemandem beim Lügen in die Augen zu sehen, war ihr unmöglich. Ayisha fühlte sich schuldig und verzog schuldbewusst das Gesicht.
Es half nichts. Der Engländer weigerte sich, ihr zu glauben. „Warum haben Sie das Haus verlassen? Hier wären Sie doch sicher gewesen.“ Er stockte und blickte sie noch schärfer an. So, als habe er einen Geistesblitz gehabt.
Er beugte sich wieder vor. „ Sie fühlten sich in dem Haus bedroht. “
Natürlich hatte sie sich bedroht gefühlt, warum sonst hätte sie fortlaufen sollen? Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu, zog die Beine hoch und schob sie unter sich.
„Auf dem Konsulat hat man mir gesagt, dass das Haus damals leer stand und irgendwann ausgeraubt wurde. War es so? Waren Sie hier, als die Räuber kamen?“
Sie nestelte mit verschlossener Miene an den Kissenfransen herum, ohne den Blick zu heben.
Aber sie sah wieder diese großen schmutzigen Füße, die sich dem Bett ihrer Mutter näherten und eine Handbreit vor ihrem eigenen Gesicht stehen blieben. Sie sah diese gelben rissigen, völlig verdreckten Zehennägel.
Ayisha wusste nicht mehr, wie lange sie unter dem Bett gelegen und ängstlich den Atem angehalten hatte. Sie spürte wieder diese Angst, entdeckt und aus dem Versteck gezerrt zu werden.
Sie erlebte es immer wieder in ihren Alpträumen, die sie seit jener grauenvollen Nacht quälten.
„Ayisha, sind böse Männer gekommen und haben sie Ihnen etwas angetan?“, fragte er sanft.
Hinter ihren Augenlidern brannten all die ungeweinten Tränen. Ayisha blinzelte heftig dagegen an. Seine tiefe Stimme schlich sich in ihr wundes Herz und legte sich wie eine schützende Hand darum. Sie schmeichelte sie ein und verführte sie beinahe dazu, sich ihm anzuvertrauen und ihm alles zu erzählen. Doch wenn sie sich jetzt in seine Obhut begab, war ihr Kampf der vergangenen sechs Jahre völlig umsonst, ermahnte sie sich streng.
„Sie haben mir keine Gewalt angetan“, antwortete sie schroff. In jener Nacht war sie nicht der Gefahr ausgesetzt, vergewaltigt zu werden. Ganz im Gegenteil.
Sie erinnerte sich noch genau an die Worte der Räuber. Durchsucht das ganze Haus. Irgendwo muss sie sich verstecken. Wo sollte sie sonst hin ? Eine weiße Kindjungfrau bringt bei Zamil eine hübsche Summe, klang die fremde Stimme in ihren Ohren.
Damals wusste sie nicht einmal, was eine Jungfrau war. Doch sie wusste, dass sie gemeint war. Und sie wusste, dass Zamil ein Sklavenhändler war für ganz besondere Sklaven.
Der Engländer ließ nicht locker. „Aber warum haben Sie sich dann nicht an das Britische Konsulat gewandt?“
Weil sie wusste, dass die Männer dort im Konsulat nicht weniger gefährlich waren. In Ägypten waren die englischen Gesetze nichts wert. Hier galt nur das Gesetz des Paschas. Für Ayisha
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