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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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ihm wollte – immerhin das komplette Dossier (falls sie diesen Ausdruck gebrauchten) über den Fall –, verfiel er für rund zwanzig Sekunden in tiefes Schweigen; ihr kam es vor wie eine Stunde. »Ein guter Freund von dir?« fragte er.
    »Ja«, antwortete Kate, »und in der denkbar scheußlichsten Klemme«, und verwünschte sich dann selbst, weil es so schien, als erinnere sie ihn an seine »Schuld«. Aber zum Teufel, dachte sie, dann erinnere ich ihn eben; es hat keinen Sinn, darum herumzureden.
    »Ich tue, was ich kann«, sagte er. (Offensichtlich war er nicht allein.) »Es paßt heute zwar schlecht, aber ich sehe mir die Sache an und rufe dich gegen halb acht bei dir zu Hause an. Reicht das?« Schließlich, dachte Kate, muß er auch noch seinen Lebensunterhalt verdienen. Hast du denn erwartet, er läßt alles stehen und liegen und stürzt her, sobald er den Hörer wieder aufgelegt hat? Wahrscheinlich kostet ihn das Ganze sowieso ziemlich viel Mühe.
    »Ich werde auf dich warten, Reed, tausend Dank.« Sie hängte ein. Zum ersten Mal seit Jahren stand Kate da und hatte nichts zu tun, aber es war nicht dieses vergnügliche Nichtstun, bei dem man sich sagt: Ehe ich mir noch so eine Seminararbeit antue und krank werde, schleiche ich mich lieber auf leisen Sohlen davon und ins Kino; das hier war eher die schrecklichere Variante des Nichtstuns, die manche Menschen (Kate hörte es stets mit einem Schaudern) als »Zeittotschlagen« bezeichneten. Sie selbst kannte so etwas nicht, denn ihr Leben war so angefüllt von verschiedenen Aktivitäten, daß freie Zeit ihr als Segen und nicht etwa als Last erschien. Doch jetzt sah sie sich plötzlich vor dem Problem, was um alles in der Welt sie bis halb acht unternehmen sollte. Edel bekämpfte sie den Drang, Emanuel und Nicola anzurufen; am besten wartete sie, bis sie etwas Aufbauendes zu sagen hatte. An Arbeit war nicht zu denken – sie stellte fest, daß sie weder die nächste Vorlesung vorbereiten noch Arbeiten korrigieren konnte. Nach einigem ziellosen Hin- und Hergewandere in ihrer Wohnung – wobei sie völlig unbegründet das Gefühl hatte, sie müsse eine Festung halten und dürfe diese auf gar keinen Fall verlassen – griff sie zu dem Mittel, das ihre Mutter immer gebraucht hatte, wenn sie unter Anspannung stand – damals, als Kate noch ein Kind war: Sie räumte Schränke auf.
    Diese Aufgabe, die harte, schmutzige Arbeit und erstaunliche Entdeckungen miteinander verband, gab ihr bis zwei Uhr zu tun. Erschöpft mußte sie den Flurschrank in seinem Staub und mit seinem seltsamen Innenleben stehen lassen und fiel in einen Sessel, Freuds ›Studien über Hysterie‹ auf den Knien, die ein Weihnachtsgeschenk von Nicola gewesen waren. Das war eine Reihe Jahre her. Sie konnte sich nicht darauf konzentrieren, aber ein Satz fiel ihr ins Auge, eine Bemerkung Freuds gegenüber einer Patientin: »Viel ist erreicht, wenn es uns gelingt, Ihre hysterische Not in ein normales Unglücklichsein zu transformieren.« Sie wünschte, sie hätte den Satz für Emanuel parat gehabt, als beide noch frei und ohne bestimmten Zweck über Freud hatten diskutieren können. Kein Wunder, daß sie so eine schwere Aufgabe zu bewältigen hatten, diese modernen Psychoanalytiker: Selten genug begegneten sie einer wirklich hysterischen Not und mußten sich statt dessen mit gewöhnlichem Unglücklichsein befassen, für das es, wie Freud offensichtlich wußte, keine klinische Heilung gibt. Ihr wurde klar, daß es jetzt ihr Ziel war, Emanuel aus der Katastrophe, die sich da anzukündigen schien, dem normalen Unglücklichsein zurückzugewinnen. Ein beunruhigender Gedanke, der sie in müßige Tagträume verfallen ließ.
    Wie der Rest des Nachmittags verging, konnte sie später nicht mehr sagen. Sie brachte die Wohnung in Ordnung, ging unter die Dusche – und legte währenddessen mit Schuldgefühlen den Hörer neben das Telefon, so daß ein möglicher Anrufer (Nicola, Reed, die Polizei?) das Besetztzeichen hören und noch einmal wählen würde – bestellte ein paar Dinge zu essen, falls Reed Hunger haben sollte, und dann marschierte sie wieder auf und ab. Ein paar Telefongespräche mit Leuten, die kein Wort über den Mord verloren und damit auch nichts zu tun hatten, waren eine große Hilfe…
    Reed kam um fünf nach halb acht. Kate mußte sich zurückhalten, ihn nicht wie den lange vermißten Erben aus Übersee zu begrüßen. Er ließ sich in einen Sessel fallen und akzeptierte dankbar den angebotenen Scotch

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