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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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sind, so, als hätte jemand das Messer mit Handschuhen angefaßt. Aber das ist eine Annahme ohne Beweiskraft.«
    Reed holte tief Luft. »Jetzt kommen wir zum vernichtenderen Teil. Sie wurde im Liegen erstochen, wenn man dem Bericht des Mediziners folgt, und zwar von jemandem, der sich vom Kopfende der Couch her über sie gebeugt und das Messer zwischen ihren Rippen hochgestoßen hat. Das muß also, nebenbei bemerkt, jemand gewesen sein, der recht genau in der Anatomie Bescheid weiß, id est ein Arzt. Aber auch damit befinden wir uns wieder auf schwankendem Boden. Dieser von hinten angesetzte und dann nach oben geführte Stich wurde (wenn auch nicht bei liegenden Opfern) im Zweiten Weltkrieg in Frankreich und auch anderswo allen Einheimischen der Resistance beigebracht. Die entscheidende Frage lautet: Wer hat das Mädchen dazu gebracht, sich hinzulegen? Wer kann sich hinter sie gestellt haben? Wer könnte sie schließlich erstochen haben, ohne zu irgendeinem Zeitpunkt eine Gegenwehr, gleich welcher Art, auszulösen? Du kannst dir vorstellen, daß die Polizei sich sagt: ›Wo sitzt ein Psychoanalytiker? Auf einem Stuhl hinter dem Kopfende des Patienten.‹ Fragt also der Kriminalbeamte: ›Warum sitzt der Psychoanalytiker an dieser Stelle, Dr. Bauer?‹ Darauf Dr. Bauer: ›Damit der Patient den Doktor nicht sieht.‹ Kriminalbeamter: ›Warum soll der Patient den Doktor nicht sehen?‹ Dr. Bauer: ›Das ist eine sehr interessante Frage, auf die mehrere Antworten möglich sind, zum Beispiel, daß das dem Patienten hilft, die Anonymität des Doktors zu wahren, und daß so die Möglichkeiten für eine Übertragung verbessert werden. Aber der wirkliche Grund scheint zu sein, daß Freud diese Position eingeführt hat, weil er nicht ertragen konnte, von seinen Patienten den ganzen Tag lang angesehen zu werden.‹ Kriminalbeamter: ›Liegen alle Ihre Patienten auf der Couch?‹ Dr. Bauer: ›Nur die, die bei mir eine Analyse machen. Patienten, die in Therapie sind, sitzen auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs.‹ Kriminalbeamter: ›Sitzen Sie hinter ihnen?‹ Dr. Bauer: ›Nein.‹ Das Schulterzucken des Kriminalbeamten ist hier nicht verzeichnet.«
    »Reed, meinst du, daß die Polizei ihren ganzen Verdacht auf die Tatsache stützt, daß niemand anders hätte hinter sie treten können, während sie auf der Couch lag?«
    »Nicht ausschließlich, aber es ist auf jeden Fall ein heikler Punkt. Falls Dr. Bauer nicht da war, warum legte sie sich dann überhaupt auf die Couch? Nehmen wir einmal an, sie ging in das Zimmer und legte sich hin, als niemand sonst da war – und Dr. Bauer hat dem Kriminalbeamten versichert, kein Patient würde so etwas von sich aus tun, sie warten vielmehr draußen, bis ihr Analytiker sie hereinruft –, würde sie denn liegen geblieben sein, wenn ein anderer als der Analytiker hereingekommen wäre, sich hinter sie gesetzt und sich dann mit dem Messer über sie gebeugt hätte?«
    »Mal angenommen, sie hat das Messer nicht gesehen, als er sich über sie beugte.«
    »Selbst dann bleibt die Frage: Warum legte sie sich auf die Couch, wenn der Analytiker nicht da war? Warum legen sich Frauen auf eine Couch? In Ordnung, drauf brauchst du nicht zu antworten.«
    »Augenblick mal, Reed. Vielleicht wollte sie ein Nickerchen machen.«
    »Nun mach mal einen Punkt, Kate.«
    »Gut, aber nehmen wir einmal an, sie hatte eine Affäre mit einem der Patienten vor oder nach ihr – wir wissen ja so gut wie nichts über die –, und sie oder einer von denen, ja sagen wir, dieser andere Patient sorgte dafür, daß Emanuel aus der Praxis verschwand, damit er und das Mädchen sich auf der Couch lieben konnten. Jedenfalls brauchte der Zehn-Uhr-Patient einfach nur dazubleiben, und der Zwölf-Uhr-Patient ist ja ziemlich früh gekommen…«
    »Die beiden telefonischen Absagen fanden während der Sitzung mit dem Zehn-Uhr-Patienten statt, er konnte sie also kaum selber gemacht haben.«
    »Genau. Er hat jemanden beauftragt, für ihn anzurufen. Das verschaffte ihm ein Alibi, und weil er zu der Zeit selber vor Ort war, konnte er sich davon überzeugen, daß die Anrufe ankamen oder daß wenigstens ein paar Anrufe ankamen.«
    »Aber warum hat er dann für den Zwölf-Uhr-Patienten absagen lassen, diesen selbst aber nicht benachrichtigt, daß die Stunde ausfiele? Sicher, vielleicht kannte er seine Telefonnummer nicht. Aber warum wollte er Dr. Bauer los sein, wenn der Zwölf-Uhr-Patient auf alle Fälle erscheinen

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