Gefährliche Praxis
mit Soda. »Ich nehme an, du glaubst nicht, daß es der Psychiater war?«
»Natürlich war er es nicht«, sagte Kate. »Das ist eine absurde Vorstellung.«
»Die Vorstellung, meine Liebe, daß einer deiner Freunde einen Mord begangen haben könnte, mag absurd sein. Ich bin der erste, der das zugesteht oder deinem Wort in jedem Fall glaubt. Aber für die Polizei, die ja netterweise ganz ohne jedes persönliche Vorurteil an die Sache herangeht, sieht er so schuldig aus, wie nur möglich. Ja, ja, fang noch nicht an, mit mir zu streiten, ich nenne dir erst einmal die Tatsachen, und dann kannst du mir erzählen, was für ein reizender Mensch er ist und wer der wahre Verbrecher ist, so es ihn gibt.«
»Reed! Besteht die Möglichkeit, daß sie es selbst getan haben könnte?«
»Eigentlich nicht, wenn ich auch zugeben will, daß ein guter Verteidiger vor Gericht aus dieser Vorstellung etwas machen könnte, und sei es nur, um die Geschworenen konfus zu machen. Wer sich ein Messer tief ins Innere sticht, der tut das nicht von unten nach oben, und ganz bestimmt tut er es nicht auf dem Rücken liegend; er wirft sich in die Klinge hinein, wie Dido. Und wenn er sich ein Messer in den Leib rennt, dann entblößt er die Stelle seines Körpers – frag mich nicht, warum, so machen sie es eben, jedenfalls steht es so in den schlauen Büchern –, und, ein weniger anfechtbarer Punkt, es bleiben unvermeidlicherweise Fingerabdrücke immer zurück.«
»Vielleicht hatte sie Handschuhe an.«
»Dann muß sie sie ausgezogen haben, nachdem sie tot war. «
»Vielleicht hat jemand anders sie ihr ausgezogen.«
»Meine liebe Kate, ich mache dir besser erst einmal einen Drink. Vielleicht solltest du auch gleich mehrere Beruhigungsmittel nehmen. Es heißt, Alkohol hebe ihre Wirkung wieder auf. Halten wir uns einen Moment lang an die Fakten?« Kate holte sich einen Drink und eine Zigarette, verzichtete aber auf das Beruhigungsmittel und nickte gehorsam. »Gut. Sie wurde ermordet zwischen zehn vor elf, als der Zehn-Uhr-Patient ging, und zwölf Uhr fünfunddreißig, als sie von Mrs. Bauer entdeckt wurde, und dies wiederum beobachteten, mehr oder weniger, Mr. Michael Barrister, Pandora Jackson und Frederick Sparks, der Zwölf-Uhr-Patient. Der Gerichtsmediziner konnte den Todeszeitpunkt noch nicht genauer feststellen – sie schätzen immer in einer Zeitspanne von zwei Stunden –, aber er hat gesagt, wenn auch absolut inoffiziell, und das bedeutet, vor Gericht wird er das nicht bestätigen, daß sie wahrscheinlich schon seit einer Stunde tot war, als sie gefunden wurde. Es gab keine äußeren Blutungen, weil das Heft des Messers ihre Kleidung in die Einstichwunde hineingedrückt und verhindert hatte, daß Blut austrat. Das ist Pech, denn ein blutbefleckter Verbrecher mit blutbespritzten Kleidern ist schließlich leichter zu finden.« Reeds Stimme klang ganz neutral und unbewegt, wie die Stimme eines Stenographen, der aus seinen Notizen vorlas. Kate war ihm dafür dankbar.
»Sie ist mit einem langen, schmalen Tranchiermesser aus der Küche der Bauers umgebracht worden«, fuhr er fort, »es gehört zu einem Satz, der in einem hölzernen Gestell an der Wand hängt. Die Bauers leugnen nicht, daß ihnen das Messer gehört. Es hätte auch gar keinen Zweck, denn die Fingerabdrücke von ihnen beiden sind darauf.« Kate seufzte unwillkürlich. Reed unterbrach sich und sah sie an. »Wie ich sehe«, sagte er mit gezwungenem Lächeln, »ist deine Fähigkeit, zwischen den verschiedenen Qualitäten von Beweismitteln zu unterscheiden, nicht sehr entwickelt. Das hier ist für sie das Hauptbeweismittel. Nachdem heutzutage aber jedes Kind über Fingerabdrücke Bescheid weiß, ist zu erwarten, daß jeder, wenn er ein Messer als Waffe benutzt, auch soviel Hirn hat, die Abdrücke wegzuwischen. Natürlich könnte ein gewiefter Psychiater schlau genug sein, sich auszurechnen, daß die Polizei genauso denken würde. Unterbrich mich nicht. Dr. Bauer und seine Frau sagen, die Fingerabdrücke seien am Abend zuvor darauf gekommen, als sie einen kleinen Streit darüber gehabt hätten, wie man am besten einen Braten in Alufolie aufschneidet, und beide es versucht hätten. Da sie zu den Leuten gehören, die sich auskennen, tauchen sie ein Messer nicht ins Wasser, sondern wischen die Klinge mit einem feuchten Lappen ab und danach mit einem trockenen. Die Fingerabdrücke sind also, wenn sie überhaupt eine Bedeutung haben, ein Beweis zu ihren Gunsten, da sie zum Teil verwischt
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