Gefährliche Praxis
schrecklich nach der Wahrheit. Aber Mörder waren sicher auch gute Lügner.
»Ist Ihr Analytiker gut in seinem Beruf?« fragte Jerry.
»Äußerst angesehen. Er sitzt wirklich zwanzig Minuten da und wartet, wenn ich den Mund nicht öffne. Offenbar ärgere ich mich trotzdem über ihn. Jedenfalls habe ich das geträumt.« Jerry sah ihn interessiert an. »Man soll ihnen natürlich auch seine Träume erzählen. Habe nie gedacht, daß ich viel träume, aber man tut es, wenn man sich nur dazu bringt, sie sich zu merken. Also, in diesem Traum war ich bei Brooks Brothers, um mir einen Anzug zu kaufen. Der Anzug kam mir verdammt teuer vor, aber ich habe ihn genommen, und als ich ihn zu Hause anprobierte, paßte er überhaupt nicht. Ich brachte ihn in den Laden zurück und geriet mit dem Verkäufer in einen heftigen Streit darüber, daß man mir viel zu viel dafür abgenommen habe, der gottverdammte Anzug sei keinen Heller wert. Ich wachte regelrecht wütend auf und sauste los, Dr. Bauer davon zu erzählen. Anscheinend war es ein ganz einfacher Traum. Ich ärgerte mich über ihn, über Dr. Bauer, und fühlte mich von ihm betrogen, weil er für so viel Geld nichts anderes tut, als mir zuzuhören, aber das war ein Gedanke, dem ich mich nicht stellen wollte, und so habe ich ihn auf diese Weise im Traum verarbeitet. Schlau, was?«
Das hörte sich zweifellos wie eine glänzende Lektion über die Technik der Analyse an, aber für das, was Jerry wissen wollte, war es zwecklos. Oder konnte jemand so wütend auf seinen Analytiker sein, daß er ihm einen Mord anhängte? Ein interessanter Gedanke. Jerry fragte sich, ob Analytiker das jemals als eines ihrer Berufsrisiken betrachteten. Kein schlechtes Motiv, wenn Jerry genau darüber nachdachte. Flüchtig ging ihm die Frage durch den Kopf, wie es Kate wohl mit Frederick Sparks erging.
»Mißverstehen Sie mich nicht«, sagte Jerry, »aber haben Sie jemals den Wunsch gehabt, Dr. Bauer umzubringen?«
»Nicht ihn umzubringen«, antwortete Horan, offensichtlich keineswegs gekränkt, »obwohl Gott allein weiß, was einem so durch das düstere Unterbewußtsein schleicht. Man hat natürlich seine Phantasien über seinen Analytiker, doch meistens nur als Bild: Man trifft jemanden, der ihn auch kennt und von dem man nun all die schmutzigen Geheimnisse aus seinem Leben erfährt, oder er läßt seine professionelle Aura fallen und bittet um Hilfe. Was einen ganz besonders verrückt machen kann bei einem Analytiker: Man erzählt ihm einen Witz, sogar einen verdammt komischen Witz, und hinter einem herrscht totales Schweigen. Aber am Abend geht er bestimmt zu seiner Frau – ich nehme an, er ist verheiratet – und sagt: ›Habe heute einen verdammt komischen Witz gehört, von einem meiner Patienten.‹«
»Hilft er Ihnen eigentlich bei dem Problem, das Sie zu ihm gebracht hat?«
»Also, bis jetzt natürlich nicht, die Behandlung hat gerade erst angefangen. Wir haben schon eine Menge interessantes Material aufgedeckt. Zum Beispiel hat sich herausgestellt – obwohl ich mich gar nicht daran erinnere –, daß ich die ganze Zeit, als meine Mutter mit meinem Bruder schwanger war, Bescheid gewußt habe. Die Analyse hat mir auch schon bei meiner Arbeit geholfen.«
»Hatten Sie da mal eine Blockade?«
»Nicht direkt. Wir haben einen Kunden, der elegante Möbel herstellt, und ich habe mir dazu eine Anzeige ausgedacht: ein Raum mit nur zwei Möbelstücken, eine Couch und einen Stuhl hinter dem Kopfende, beides natürlich edle Stücke. Habe dafür ganz schön Lob eingeheimst.«
Horan fing an, über andere Dinge zu reden, die nichts mit der Analyse zu tun hatten, und Jerry hatte nicht mehr die Energie, ihn wieder auf das Thema zurückzubringen. Er wirkte jedenfalls nicht wie ein Mörder. Vielleicht hatte er jemanden beauftragt, die Sache für ihn zu übernehmen. Aber war so etwas, von der Welt der organisierten Kriminalität einmal abgesehen, wirklich möglich? Und wußte Horan Bescheid über die komplizierte häusliche Organisation bei Emanuel? Daß er nicht sicher wußte, ob Emanuel verheiratet war oder nicht, könnte eine raffinierte Finte gewesen sein. Konnte einer wie Horan wirklich genauso erscheinen, wie er war, ohne es zu sein?
Jerry verabschiedete sich von Horan, der das Mittagessen für ihn mit übernommen hatte, einigermaßen deprimiert und mit heftigen Kopfschmerzen. Was sollte er unternehmen, bis Dr. Barristers hübsche Sprechstundenhilfe Feierabend hatte? Nach einigen Augenblicken
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