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Gefährliche Praxis

Gefährliche Praxis

Titel: Gefährliche Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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Ohnmacht.
    »So klein ist die Welt«, brachte er über die Lippen. »Um eine Phrase zu gebrauchen«, fügte er hinzu und deckte so die Albernheit des ersten Klischees mit dem zweiten zu.
    »So ist es, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich vertrete die Meinung, es gibt nur fünfzig Leute auf der Welt, und die machen dauernd die Runde. Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«
    Liebe, wundervolle, glückliche Sally, die wirklich alles und jeden kannte. Irgendwie hatte Jerry die Vorstellung gehabt, daß ihm das einmal nützlich sein könnte – er dachte Jahre voraus, an seine Tätigkeit als Anwalt –, doch jetzt fing er an, Sallys vielfältige Verbindungen in noch hellerem Licht zu sehen. Im Scherz hatte er oft zu Sally gesagt, sie beide läsen offenbar jeden Morgen zwei verschiedene Ausgaben der ›Times‹. Sie warf nie einen Blick auf die Sport-Seite; Afrika, der Nahe Osten, Rußland und die Vorgänge im Congress berührten gerade die Randzonen ihres Bewußtseins; und wenn sie, um ihr Leben zu retten, die Namen der neun Richter des Obersten Bundesgerichts aufzuzählen hätte, würde sie gerade Warren nennen können und sterben. Dafür war die ›Times‹ für sie voll kleiner Meldungen über Leute, die die Stelle wechselten, heirateten, sich scheiden ließen, Prozesse führten, und keine dieser Meldungen wurde jemals wieder vergessen. Sie »kannte« nicht nur »jeden« kreuz und quer durch die Kontakte von Familie, Schule, College und Verabredungen – aus denen bestand ihre gesellschaftliche Welt –, sie wußte auch über jeden alles.
    »Mein Bruder Tom hat sich ein paarmal mit Sally getroffen«, sagte Horan, während sie, immer noch wie im Traum, wieder in den Fahrstuhl zurücktraten. »Was treiben Sie denn so?«
    Zum Lunch gestattete Jerry Horan, ihm einen Gibson zu spendieren. Er war es nicht gewöhnt, mitten am Tag Alkohol zu trinken, aber hier ging es darum, einen schwer angeschlagenen Mann wieder auf die Beine zu bringen. Selbst durch einen Schleier von Alkohol war eindeutig klar, daß Horan nicht der Mann war, dessen Bild jetzt in der Innentasche von Jerrys Jacke steckte. Außerdem – könnte jemand aus Sallys Welt ein Mädchen auf einer Couch erdolchen? Nicht aus Leidenschaft, sondern als kühl kalkuliertes Verbrechen?
    »Sie machen eine Analyse?« fragte Jerry. Er hörte seine eigenen Worte mit Schrecken. Er hatte vorgehabt, sich im Gespräch auf verschlungenen Wegen diesem Thema zu nähern. Er hätte den Gibson doch nicht trinken sollen. Was gab er doch für einen Detektiv ab! Jerry stopfte sich den Mund mit einem Stück Brot und hoffte, wenn auch nicht allzu wissenschaftlich begründet, daß es den Alkohol aufsaugen möge.
    Jetzt war Horan an der Reihe, ihn geschockt anzusehen. »Mein Gott!« sagte er, »woher haben Sie das?«
    »Ach, von nirgends«, sagte Jerry und wedelte mit der Hand. »Ist nur so eine Redensart, wie man sie heutzutage im Repertoire hat. Man stellt sie halt in den Raum und wartet, wie sie ankommt.« Er setzte ein ermunterndes Lächeln auf.
    Horan sah aus wie ein Mann, der sich hinabbeugt, um einen Hund zu streicheln, und entdeckt, daß es eine Hyäne ist. Das Essen wurde aufgetragen und sorgte für eine willkommene Unterbrechung. Jerry fing an, ziemlich schnell zu essen. »Tut mir leid«, murmelte er schließlich.
    Horan machte eine verzeihende Handbewegung. »Ich mache tatsächlich eine Analyse. Das ist eigentlich kein Geheimnis. Und mein Analytiker ist genau der Mann, auf dessen Couch gerade ein Mädchen ermordet worden ist.«
    »Haben Sie trotzdem bei ihm weitergemacht?« fragte Jerry treuherzig.
    »Warum nicht? Er war es natürlich nicht, zumindest glaube ich das. In meiner Familie meinen sie, ich sollte aufhören, aber, zum Teufel, man kann doch nicht von jedem sinkenden Schiff springen. Um eine Phrase zu gebrauchen«, fügte er hinzu.
    »Haben Sie das Mädchen gekannt?« Nachdem er einmal damit angefangen hatte, direkte Fragen zu stellen, dachte Jerry, es sei das beste, so weiterzumachen.
    »Nein, habe ich nicht, leider. Ich habe sie öfters im Wartezimmer gesehen, wenn ich hinausging, aber ich wußte nicht einmal ihren Namen. Verdammt gutaussehend. Ich sagte einmal zu ihr, ich hätte zufällig zwei Eintrittskarten für eine Show an dem Abend, und wenn sie Lust hätte, mitzugehen – tatsächlich hatte ich sie an dem Morgen bei einem Schwarzmarkthändler gekauft –, aber sie wollte nicht. Kalt wie ein Fisch. Trotzdem seltsam, daß jemand sie ermordet haben soll.«
    Das klang

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