Gefährliche Praxis
denen darüber diskutiert wird. Wie gesagt, ich beneide Sie.«
»Ich höre, man kann Ihnen gratulieren zu Ihrer festen Anstellung?«
»Wer hat Ihnen denn das gesagt? Mir darf man nicht gratulieren, mir muß man Beileid wünschen. Gustave freut sich natürlich, denn jetzt bekommen wir immer regelmäßig zu essen, und am Ende eine Pension. Aber wenn ich nur ein bißchen Mumm hätte, dann würde ich sagen: ›Ihr Schwachköpfe, gebt mir bloß keine feste Anstellung; ich neige bereits schrecklich zu Trägheit, Mattigkeit, zu Nachsichtigkeit mir selbst gegenüber und zum Verschleppen der Dinge. Ihr habt doch schon genug hohle Köpfe in dieser von allen guten Geistern verlassenen Institution, genug Gehirne, die von keinem neuen Gedanken mehr heimgesucht wurden, seit sich die Möglichkeit der Kernspaltung herumgesprochen hat; aber nein, ihr seid eine politische Institution, ihr müßt auch mir bieten, wonach die Massen verlangen: Sicherheit.‹ Natürlich ist es möglich, daß ich Erfolg habe. Daß ich aus den Fesseln des Fakultätslebens ausbreche.«
»Indem Sie ein großes Buch schreiben?«
»Nein. Indem ich Mitglied der Verwaltung werde. Dann habe ich einen Teppich in meinem Büro, einen ganzen Schreibtisch für mich selbst, vielleicht noch einen für meine Sekretärin, ein höheres Gehalt und das Recht, sehnsüchtig an meine Zeit als Lehrer zurückzudenken. Möchten Sie noch einen Drink?«
»Wenigstens das ist an meinem Institut genauso«, sagte Kate und lehnte den Drink mit einem Kopf schütteln ab. »Jemand hat es mal so ausgedrückt: Der Lohn für gute Lehrtätigkeit ist, daß man damit aufhört.« Kate ließ sich von seiner Art nicht auf den Leim führen. Hinter diesem übertriebenen Gehabe und dem neckischen Hinweis auf seinen Hund (sie hätte ihn wirklich fragen sollen: »Wer ist denn Gustave?«) vermutete Kate einen erstklassigen Verstand und eine ängstliche Persönlichkeit. Sie hatte keinen Zweifel, daß er genügend Mumm, Hirn und Egoismus besaß, um jemanden zu erdolchen, aber hatte er es getan? Glühende Liebhaber von Hunden gehören oft zu jenen Menschen, die nur bedingungslose Liebe ertragen können. Er hätte sicher die Nerven gehabt, diese Telefonate zu führen. Könnte es sein, daß Janet Harrison anziehend für ihn war, gerade wegen ihrer wenig kommunikativen und so zurückhaltenden Art, daß er ihr seine Liebe angetragen hatte und von ihr abgewiesen wurde?
»An wie vielen Tagen pro Woche halten Sie Vorlesungen?« fragte sie.
»An vier, Gott sei’s geklagt. Und im nächsten Semester sind es vielleicht fünf. Dieses Semester habe ich durch eine höchst sonderbare Fügung des Schicksals montags frei.«
»Halten Sie Ihre Vorlesungen an den anderen Tagen immer vormittags?« Kate hoffte, daß die Frage in seinen Ohren nicht so gezielt klang, wie sie ihr selber vorkam.
»Ich zeige Ihnen mal meinen Stundenplan«, sagte er und griff in eine Innentasche. »Wahrscheinlich meinen Sie, so weit gegen Ende des Semesters müßte ich ihn eigentlich kennen. Aber unsere Stundenpläne sind in Wahrheit derart kompliziert, daß, wenn ich sowas im Kopf behalten müßte, es so viel Platz in meinem kleinen Gehirn einnehmen würde, daß ich dafür etwas anderes vergessen müßte, Angelsächsisch zum Beispiel.« Er reichte ihr den Stundenplan.
Er sah in der Tat ungewöhnlich aus. Einen Kurs mit der Kennziffer 9.1 hielt er dienstags um neun, mittwochs um drei Uhr nachmittags, um zehn am Donnerstag und freitags um zehn (!). Kate fragte nach dem Grund für diese seltsame Aufteilung und dachte zugleich: Das ist ein Alibi, klar und deutlich.
»Ach, das ist ganz einfach, wirklich, vorausgesetzt, Sie verfügen über den besonders rudimentären Verstand des Mannes, der diese Dinge arrangiert. Die einen Studenten stehen auf dem P-Plan, andere auf dem Q- oder S- oder W-Plan. Das bedeutet, sie müssen zu einer ganz bestimmten Zeit am Tag schwimmen gehen, zu einer anderen essen, und unter keinen Umständen dürfen sie sich zu einer dritten Zeit auf den Treppen befinden. Das geht dann immer im Kreis, und hier haben wir das Resultat. Manchmal stellt sich heraus, daß sich eine Klasse um eins trifft, und dann wieder um drei am selben Nachmittag. Wer sagt da, es gäbe keine pädagogischen Herausforderungen mehr! Man muß sich ihnen nur stellen.«
»Streichen Sie manchmal auch Stunden?«
»Niemals, es sei denn, man stirbt. Wenn man einfach mal nicht lehren kann, dann spricht man mit den kleinen Lieblingen und sagt ihnen, sie
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