Gefährliche Praxis
konnte, über das Thema eine Abhandlung. Zuerst verstand Kate jedes dritte Wort, dann jedes sechste, und dann schnappte sie nur noch hin und wieder eine ihr bekannte Konjunktion auf, und schließlich hörte sie nicht mehr zu. Wenn dieser Fall genaue Kenntnisse in der Endokrinologie erfordert, dachte sie, dann gebe ich besser gleich auf. Doch genau in dem Augenblick klingelte das Telefon in ihrer Wohnung, ein um das andere Mal, ungehört und nur etwas frustrierend für denjenigen, der eine Nachricht parat hatte, die für die drei dort am Ecktisch und für einen anderen den Anfang vom Ende ankündigte.
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V on dem Augenblick an, als Kate, die Flasche in der Hand, auf der Party eintraf, fühlte sie sich wie jemand, der in einem Vergnügungspark von einer schwindelerregenden Karussellfahrt in die andere geschleudert wird. Sie begegnete ihrem Gastgeber nur für einen kurzen Moment, als er die Flasche entgegennahm, sich bedankte und sie, ohne daß man ihn verstehen konnte, mit vier oder fünf Leuten in der Nähe bekannt machte. Die beäugten Kate, beschlossen, daß sie von ihrer Sorte eine bereits ausreichende Anzahl Exemplare in ihrer Sammlung hatten, und fuhren mit ihrer Diskussion über irgendeine hauseigene Auseinandersetzung in ihrem College fort, deren springenden Punkt, wenn es denn einen gab, Kate beim besten Willen nicht mitbekam. Lillian hatte sie gewarnt, daß Angehörige dieses Instituts jedesmal, wenn sie sich trafen, über nichts anderes redeten als über die Vorgänge an ihrem Institut, die kritische Zusammensetzung der Lehrpläne, die Unzulänglichkeiten der Verwaltung und die besonderen Eigenschaften – moralischer, körperlicher, seelischer und sexueller Natur – gewisser nicht anwesender Institutsmitglieder. Worauf Kate nicht vorbereitet war, waren die Heftigkeit, mit der all diese Dinge diskutiert wurden, und die Begeisterung, mit der bestimmte Punkte immer wieder hervorgehoben wurden, die ganz gewiß keine neuen Erkenntnisse waren.
Manches von dem, was sie aufschnappte, überraschte Kate keineswegs. Da war einmal das Ausmaß alkoholischer Stimulation, das die Vertreter des akademischen Lehrkörpers zu verkraften fähig waren. Sie waren keineswegs Dauertrinker, doch als Mitglieder einer unterbezahlten Berufsgruppe tranken sie, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Das hatten die Verfasser einschlägiger Handbücher längst aufgedeckt, die gewöhnlich für offizielle akademische Zusammenkünfte die Räume mieteten und freigiebig Drinks verteilten. Kate war auch nicht überrascht, daß Literatur kein Gesprächsthema war. Leute, die sich berufsmäßig mit Literatur befaßten, diskutierten nicht darüber, wenn sie sich trafen, es sei denn, es ging um die Zusammensetzung der Kurse und Seminare oder um deren Zuweisung. Die Gründe dafür lagen im dunkeln und waren vielschichtig, und Kate hatte sie nie gründlich analysiert. Sie hatte genügend Ärzten, Anwälten, Ökonomen, Soziologen und anderen zugehört, um zu wissen, daß es der Begabung eines Hypnotiseurs bedurfte, um sie dazu zu bringen, einmal nicht über ihre eigenen Angelegenheiten zu reden.
Diese Leute hier litten jedoch offensichtlich unter der Tatsache, daß sie nicht Angestellte einer Bildungsinstitution waren, sondern eines bürokratischen Systems. Sie benahmen sich auch weitgehend wie Angestellte, alle ordentlich in den Apparat eingebunden, und, wie bei Angestellten üblich, gaben sie sich der Illusion der Freiheit hin und redeten und mokierten sich über die Strukturen, in die sie gefesselt waren. Kate dachte liebevoll an ihre eigene Universität, wo man, weiß Gott, auch gegen die alten Laster der Günstlingswirtschaft, Schmeichelei und Ämterpatronage zu kämpfen hatte, aber wo die modernen Schrecken der Bürokratie sie und ihre Kollegen noch nicht stranguliert hatten.
»Meine Schlußexamina, mit immerhin fünfunddreißig Kandidaten«, erläuterte ein junger Mann, »wurden auf den letzten Tag der ganzen Prüfungsperiode gelegt, und sie wollten, daß ich die Zensuren innerhalb von vierundzwanzig Stunden liefere. Ich wies darauf hin, daß ich unmöglich fünfunddreißig Examensarbeiten auch nur annähernd fair durchgehen könnte, von wirklichem Verständnis gar nicht zu reden, warum also die Zeugnisse nicht erst drei Tage später ausgeben? Wissen Sie, was der Dekan von der Fakultät für Höchste Konfusion darauf gesagt hat – allen Ernstes –, da droben in einem riesigen Büro, während unsere Fakultät natürlich, weit entfernt
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