Gefaehrliche Schatten
es ihnen jetzt, als sähen sie die Stadt zum ersten Mal.
Die Stadt der Artenvielfalt war zu einem Teil Stadt, zu einem Teil Wald. Beide Teile waren miteinander verwoben, und ihre Verbindung war sowohl bizarr als auch atemberaubend. Hohe Gebäude waren von Bäumen umringt, deren Äste durch die Wände wuchsen. Wasserfälle fielen von Dächern herab, plätscherten über Balkone und vermischten sich dann mit Brunnen und Bächen. Straßenlaternen leuchteten unter tief hängenden Zweigen, und Efeu hielt Straßenschilder an Backsteingebäuden fest.
Die unterschiedlichsten Tiere marschierten die gewundenen Straßen entlang. Sie krochen über Kreuzungen, glitten über die Fußwege, sprangen über Hecken und segelten über den Himmel.
Zu Noahs Rechten fehlte ein Stück Straße von der Größe eines Fußballfeldes. Stattdessen befand sich hier ein Wasserbecken. Wellen liefen über seine Oberfläche und schwappten über die am Ufer verlaufende Straße. In den Tiefen des Wassers sah man große Gebäude stehen, deren Etagen im Wasser zu schwanken schienen. An den Gebäuden klebten Krabben, Hummer, Seesterne und alle Arten von Muscheln. Schwärme von exotischen Fischen schwammen hin und her, und Haie, Delfine, Seehunde und Schildkröten glitten durchs Wasser. Noah sah auch einige Menschen, die in grünen Taucheranzügen mitten unter ihnen schwammen.
Ein schmaler hölzerner Steg führte über das Wasser. Elefanten, Giraffen und zahllose kleinere Tiere gingen darüber. Der Steg hielt ihr Gewicht so leicht, dass sich kaum Wellen im Wasser bildeten.
«Wahnsinn», murmelte Noah.
Ein kompliziertes Geflecht aus Zweigen wuchs über ihren Köpfen. Die Blätter hatten sich seit ihrem letzten Besuch verfärbt. Der Herbst hatte die Stadt der Artenvielfalt jedoch viel später erreicht als die Welt außerhalb. Die Blätter segelten herab und blieben einen Moment auf den Rücken der größeren Tiere liegen, während die Vögel zwischen den fallenden Farben hindurchflogen.
«Wie kann es sein, dass die Blätter sich hier erst jetzt verfärben?», fragte Noah.
«Keine Ahnung», meinte Ella. «Ich schätze, die Jahreszeiten sind in der Stadt der Artenvielfalt einfach anders.»
«Genau wie die Zeit», sagte Noah. «Als wir das letzte Mal hier waren, war auch die Tageszeit verschoben. Wir sind nachts hergekommen, aber hier war es Tag.»
Ella zuckte die Schultern. «Das sind Fragen, die wir Mr Darby stellen sollten, schätze ich.»
Noah spürte, wie ihn jemand von hinten antippte. Er drehte sich um, und dort stand Richie und blickte sich mit offenem Mund um.
«Na, was meinst du?», fragte Noah. «Das ist noch beeindruckender als letztes Mal, oder?»
«Das ist einfach unwirklich», meinte Richie.
Auch Megan kam durch den Vorhang und stellte sich neben ihre Freunde auf den Fußweg. Bewundernd betrachtete sie die Stadt – ein magischer Ort, der unter ihren eigenen Gärten verborgen lag.
Plötzlich hörten die Scouts eine Stimme. «Kommt ihr jetzt, oder was?» Sie drehten sich um und sahen Sam vor sich stehen, die Hände in die Hüften gestützt.
«Los jetzt!», bellte er. «Darby wartet auf uns!»
Sams Ungeduld machte Noah deutlich, dass sich manche Menschen wohl an die Stadt der Artenvielfalt gewöhnen konnten. Es war offenbar möglich, sie ganz normal zu finden.
Noah nickte seinen Freunden zu. «Lasst uns gehen», sagte er.
Die Scouts holten die Teenager ein, und gemeinsam zogen die acht in Richtung Bibliothek der Geheimen Gesellschaft.
Schon bald kamen sie zu einem ungewöhnlichen Marmorgebäude. Rechts und links stützten Säulenreihen mehrere kleinere Spitzdächer. Wendeltreppen führten zu Balkonen, die unter den gewölbten Dächern lagen. Auf jedem Balkon hing ein Samtvorhang. Die weiße Fassade war mit bunten Fenstern übersät, und hoch oben verschwand das Gebäude in den bunten Baumwipfeln.
«Wow!», sagte Noah. «Seht euch das Haus an!»
Er trat zu einer Wendeltreppe, die zum Haupteingang führte, doch Sam hielt ihn auf.
Er deutete nach oben. «Lies erst mal, was auf dem Banner steht», sagte er.
Noah erkannte hoch oben an einem der Dächer ein Tuch von der Größe eines Bettlakens, auf dem stand: SEKTOR DER DESCENDER und darunter SEKTOR 4 DER VERBOTENEN FÜNF .
«Die Verbotenen Fünf?», fragte Noah, während Sam ihn am Arm die Straße hinaufzog. «Was soll das denn bedeuten?»
«Genau das, was da steht: Die Sektoren sind verboten.» Sam sah Noah mit ernster Miene an. «Es gibt fünf Sektoren, die für jeden
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