Gefaehrliche Sehnsucht
Menschen nehmen. Vielleicht konnte sie ihm mit einem kleinen Zauber helfen. Mit einer leisen ruhigen Stimme versuchte sie ihn zu locken. »Komm her. Ich tu dir nichts.«
Erstaunt stellte Leah fest, dass der Vogel sie zu verstehen schien. Er breitete seine Flügel aus und landete einen Augenblick später auf der Fensterbank.
»Braver Vogel«, flüsterte Leah und ging langsam näher. Der Vogel schien keine Scheu vor ihr zu haben. Vorsichtig bewegte sie ihre Hand auf das obere Stück seiner Krähenfüße zu. Sie waren leicht aufgerissen.
»Das wird schnell wieder heilen«, sagte sie und strich dem Vogel über den kleinen Kopf. Zu ihrer Überraschung hielt das Tier still. Es bewegte sich unter ihren Händen leicht hin und her, als würde es ihre Berührungen genießen. Leah fühlte eine Freude in sich aufkommen, die sie sich nicht erklären konnte.
»Schade, dass du nur ein Vogel bist«, schmunzelte sie.
Sie erschrak, als sich plötzlich ein grauer Nebel vor ihr ausbreitete und vor ihrem geistigen Auge das Bild von einem Mann entstand. Schwarze schulterlange Haare und wunderschöne grüne Augen ...
Leah schloss ihre Augen und atmete tief durch. Sie schlang ihre Arme um ihren Oberkörper und lächelte. Als sie ihre Augen wieder öffnete, war der Vogel verschwunden. Anstatt dessen hatte sie jetzt freie Sicht auf die Sterne am Himmel.
»Wer war dieser Mann in der Collins Street?«, fragte sie sich. »Er hatte äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Riley ...«
Leah schüttelte ihren Kopf und begann zu lachen. Ich mache mir Gedanken über einen Traum, als ob er Realität wäre.
Sie schloss das Fenster und ging in die Küche, um sich einen Orangensaft zu holen. Sie war durstig. Nachdenklich ging sie dann zurück in das Wohnzimmer und ließ die letzten Tage Revue passieren. Die Ereignisse hatten sich überschlagen. Sie hatte Aidan zur Seite gestanden und war dabei diesem Mann begegnet. Seit sie ihn gesehen hatte, war ihr bewusst geworden, wie monoton ihr Leben bis jetzt verlaufen war.
Sie wollte ihn wiedersehen, aber wie sollte sie das anstellen? Vielleicht konnte ihr Aidan dabei helfen? Vielleicht konnte sie ihn mit ihren Gaben aufspüren?
Zuversichtlich ihn wiederzusehen, ging sie die Treppe hoch in ihr Schlafzimmer. Sie hoffte die wenigen Stunden bis zum Morgengrauen schlafen zu können. Sie schlüpfte aus ihrer Kleidung und ließ sich müde in ihr Bett fallen.
Im Halbschlaf hörte sie Schritte und ein Jaulen, das immer leiser wurde. Bald warf sie sich im Bett unruhig hin und her. Der Traum von vorhin schien sich fortzusetzen. Nebel bewegte sich auf sie zu. Aus dem grauen Schleier schälte sich sein Gesicht heraus. Ihr Herz hämmerte wild. In ihrem Nacken begann es zu kribbeln. Seine geheimnisvollen Augen funkelten, als er sie entdeckte. Sie wartete auf ihn und war vor Anspannung wie versteinert. Ein seltsames Gefühl beschlich sie. Es stieg langsam in ihr hoch. Es war, als würde gleich etwas Großartiges passieren. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie ähnlich empfunden.
Ein lauter werdendes Klingeln drang an ihr Ohr. Leah öffnete mühsam ihre Augen. Sie war todmüde. Das Gefühl, etwas verloren zu haben, machte sich in ihr breit. Als sie begriff, dass das Handy läutete, setzte sie sich auf und machte Licht.
»Wer ruft mich um diese Zeit an?«, fragte sie sich leise.
Sie warf einen Blick durch das Fenster und sah nichts als Dunkelheit.
»Ja«, meldete sie sich.
»Entschuldige, dass ich dich um diese Zeit anrufe«, hörte sie Lucys Stimme. »Ich habe Angst.«
»Was ist los?«
»In meinem Garten geschieht etwas Unheimliches. Ich glaube, jemand will etwas von mir.«
»Wer?«, fragte Leah.
»Ich weiß es nicht. Ich sehe nur einen Schatten.«
Leah fuhr sich müde über ihre Augen und atmete tief durch.
»Ich komme gleich«, sagte sie und trennte die Verbindung. Schnell sprang sie in ihre Kleidung, griff nach dem Autoschlüssel und machte sich auf den Weg nach unten. Als sie ins Freie hinaustrat, zuckte sie unwillkürlich vor der Dunkelheit zurück. Sie fühlte Angst in sich hochkommen.
Zu viel war in den letzten Tagen geschehen.
»Es war nur ein Traum«, beruhigte sie sich. »Ich wurde nicht wirklich überfallen.«
Der Gedanke an Lucy ließ sie auf ihr Auto zugehen und ein paar Häuser weiter fahren. Als sie ausstieg, sah sie aus den Augenwinkeln heraus einen schwarzen Vogel, der knapp über ihr Kreise zog und jede ihrer Bewegungen aus seinen funkelnden Augen beobachtete.
Kapitel 42
S
Weitere Kostenlose Bücher