Gefaehrliche Spur
berühmter Arzt war. Die Suche nach Rya hatten sie nicht allzu intensiv b e trieben, obwohl Jason sie schon einen Tag nach ihrem Verschwinden als vermisst gemeldet hatte und ihr Wagen unmittelbar vor dem Haus gestanden hatte, in dem sie gefangen gehalten worden war.
Rya erinnerte sich nur dunkel daran, dass die Cops sie zunächst mit vorg e haltenen Waffen bedroht hatten. Kein Wunder. Sie hatte später in der Ze i tung ein Foto von der Frau gesehen, die ihnen gegenübergestanden hatte. Irgendjemand hatte es mit dem Smartphone gemacht und der Presse ve r kauft. Rya hatte sich nicht erkannt in dem grotesken, blutbesudelten Wesen, das einem Albtraum entsprungen sein musste. Das einem Albtraum entko m men war, nur um festzustellen, dass der sie immer noch verfolgte.
Tom wechselte vom Stuhl neben sie. Ihr wurde bewusst, dass er schon die ganze Zeit auf sie einredete, sie ihm aber nicht antwortete, weil sie zwar hö r te, dass er sprach, aber die Worte nicht verstand. Er berührte ihre Hand.
„ Ryanne.“
Seine sanfte Stimme und die Berührung ließen den Rest ihrer Selbstbeher r schung zusammenbrechen. Sie warf die Arme um seinen Hals, klammerte sich an ihm fest und weinte. Er legte vorsichtig die Arme um sie und stre i chelte ihren Rücken, ihren Kopf und versicherte ihr unablässig, dass die G e fahr vorüber war und sie sich in Sicherheit befand. Seine Wärme und die Kraft, die sie in seinen Muskeln spürte, gaben ihr tatsächlich ein Gefühl von Sicherheit. Sie blendete aus, dass er ein Fremder war, schmiegte sich an ihn, legte den Kopf auf seine Schulter und überließ sich seinen streichelnden Händen und seiner beruhigenden Stimme, bis sie sich besser fühlte.
Als sie schließlich den Kopf hob, war sein Gesicht ihrem so nahe, wie sie geglaubt hatte, es nie wieder zulassen zu können. Und es fühlte sich übe r haupt nicht bedrohlich an. Auch nicht, dass er sie immer noch hielt; die B e rührungen eines Mannes waren ebenfalls etwas, von dem sie überzeugt gew e sen war, es nie wieder ertragen zu können. Dass es ihr jetzt nichts ausmachte, ließ sie hoffen, dass sie auch einen Kuss und vielleicht eines Tages intimere Dinge aushalten könnte.
Die winzige Bewegung, mit der sie ihr Gesicht seinem ein Stück näher brachte, genügte Tom als Aufforderung. Er berührte ihre Lippen mit seinen, so vorsichtig, als wären sie etwas Zerbrechliches. Als sie nicht zurückzuckte, küsste er sie sanft. Rya erwiderte seinen Kuss und empfand ein tiefes Glück s gefühl; zum ersten Mal seit einer Ewigkeit. Das zeigte ihr, dass ihre Gefühle doch nicht tot waren, wie sie in den letzten Monaten geglaubt hatte. Sie schmiegte sich an Tom und wünschte sich, ewig so verharren und vor allem das Gefühl festhalten zu können, dass alles in Ordnung war. Leider war es das nicht. Sie seufzte tief.
„ Alles okay“, sagte er leise. „Du hast überlebt, Ryanne. Und alles, was im Moment noch nicht okay ist, wird es eines Tages sein.“
Konnte er Gedanken lesen? Wahrscheinlich war er nur sehr sensibel. Seine Zuversicht tat ihr ebenso gut wie die Bewunderung, die sie aus seiner Stimme hörte. Er betrachtete die Narbe.
Sie machte eine fahrige Handbewegung. „Ich kann sie leider nicht mit Make-up verdecken, weil ich dagegen allergisch bin. Irgendwas ist in allen Make-ups, wovon ich Ausschlag bekomme. Und die herkömmlichen Cremes, die ich vertrage, decken nur ein paar Minuten, bis sie eingezogen sind. Also werde ich bis an mein Lebensende derart entstellt herumlaufen mü s sen.“ Wieder traten Tränen in ihre Augen.
Sie wandte den Kopf zur Seite, aber Tom legte einen Finger an ihre Wange und drehte ihn zu sich. „Du bist nicht entstellt.“ Er schob ihren Pony hoch und zeichnete die Schlangenlinie der Narbe mit dem Finger nach.
„ Sie ist nicht mal gerade, weil ich natürlich nicht stillgehalten habe.“ Ihre Stimme klang, als müsste sie sich dafür entschuldigen.
„ Ja, sie sieht aus wie eine Schlange.“
Eine Träne rollte über ihre Wange. „Ich habe eine Schlange im Gesicht. Scheiße!“
Er wischte die Träne mit dem Daumen ab. „Betrachte sie als Ehrenzeichen. In vielen Kulturen sind Schlangen heilige Tiere und symbolisieren entweder die Erd- und Muttergöttin oder stehen für Weisheit, Wissen und Wiederg e burt. Ihre Priesterinnen bemalen sich mit ihnen oder lassen sie sich tätowi e ren. Und in einigen afrikanischen und australischen Kulturen schneiden sie sie sich auch in die Haut.“
„ Ist nicht meine Kultur.“
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