Gefaehrliche Spur
Hause zu kommen.
Bevor sie sich darüber klar werden konnte, was das nun wieder zu bedeuten hatte, trat das Fest in die nächste Phase. Jemand stimmte ein Lied an, dessen kurze, zweizeilige Strophen ein Vorsänger zuerst sang und der Rest der Anwesenden sie als Refrain wiederholte. Jede Strophe handelte von der Fruchtbarkeit der Erde und aller auf ihr lebenden Geschöpfe, und zwar immer im Wechsel zwischen dem weiblichen und männlichen Aspekt. Tom sang mit, und nach einer Weile auch Rya, nachdem sie festgestellt hatte, dass der Text bis auf wenige, sich mit jeder Strophe ändernden Worte derselbe blieb.
Eine Weile später entschuldigte sich Tom mit einem Nicken und ging ins Haus. Wahrscheinlich musste er die Toilette aufsuchen. Rya blieb, sang mit den anderen und fühlte sich ohne ihn an ihrer Seite in einer Weise allein, die sie verwirrte. Und der sie auf keinen Fall auf den Grund gehen wollte.
*
Travis wartete ab, bis der Chor der Wicca die dritte Strophe des Erneuerungsliedes gesungen hatte, ehe er sich mit einem Nicken bei Rya entschuldigte und ins Haus ging, als müsste er auf die Toilette.
Das Lied hatte 99 Strophen. Jede dauerte ungefähr fünfunddreißig Sekunden. Falls die Gruppe es vollständig singen würde, hätte er ungefähr fünfzig Minuten Zeit. Wahrscheinlicher war aber, dass sie nur die Hälfte oder weniger singen würden, jedoch nicht weniger als dreiunddreißig. Das bedeutete, ihm blieben ungefähr fünfzehn Minuten, in denen er sich ungestört in Silvias Haus umsehen konnte, bevor man ihn vermisste. Das sollte für einen groben Überblick genügen. Den intensiveren Blick musste er sowieso auf eine Zeit in der Nacht verschieben, wenn alle sich zurückgezogen hatten.
Dass Ryanne aufgetaucht war, verkomplizierte die Sache. Er wusste, dass sie keine Wicca war. Andernfalls hätte sie auf seine Äußerung an dem Abend in ihrem Hotelzimmer, dass Schlangen heilige Tiere sind, nicht so befremdet reagiert. In dem Fall wäre ihr das bewusst gewesen. Er musste zugeben, dass es ihm ein gewisses Vergnügen bereitete, sie zu necken, indem er so tat, als setze er Wissen voraus, das sie nicht besaß. Gleichzeitig hoffte er, dass sie eines dieser Stichworte nutzen würde, ihm die Wahrheit zu gestehen. Doch das hatte sie offenbar nicht vor.
Was sie hier suchte, war ihm klar. Ebenso war ihm bewusst, dass sie garantiert keine Ahnung hatte, was ihre Teilnahme am Beltane-Fest bedeutete. Vielmehr was in der Nacht noch auf sie zukommen würde. Wenn nicht er sie mit ihr verbrachte, sondern ein anderer Mann, gäbe das wahrscheinlich eine Katastrophe. Jeder Mann hier außer ihm würde selbstverständlich voraussetzen, dass Rya wusste, dass die Anwesenden sich am Abend zu Paaren zusammentun und Sex haben würden und dass sie damit einverstanden war, andernfalls sie nicht gekommen wäre.
Rya würde sich garantiert gegen diese Avancen zur Wehr setzen. Und sich dadurch gegenüber Silvia und den anderen als Betrügerin entlarven, die sich bei ihnen eingeschlichen hatte. Falls Silvia tatsächlich mit dem Verschwinden der Obdachlosen und dem mutmaßlichen Teufelspakt zu tun hatte, wäre sie gewarnt. Andererseits schien sie Rya vorhin zum ersten Mal begegnet zu sein; zumindest hatte sie mit keiner Geste zu verstehen gegeben, dass sie wusste, wer ihr gegenüberstand, obwohl der Name Ryanne/Rya nicht allzu häufig vorkam. Entweder hatte sie nichts mit dem Angriff auf sie zu tun, oder sie hatte sich meisterhaft im Griff. Das würde sich zeigen.
Travis ging in Silvias Arbeitszimmer und sah sich um. Mit Sicherheit gab es hier einen Safe. Er wandte seine Retrospektion an und sah Silvia, wie sie vor ein paar Stunden an ihrem Laptop saß, der jetzt zugeklappt auf dem Tisch lag. Er trat hinter sie und las mit, was sie schrieb, aber es war nur ein harmloser Brief an einen Abgeordneten mit der Bitte um Spenden für ihre Organisation. Er schaute noch etwas weiter zurück in die Vergangenheit und sah, welches Passwort sie in den Laptop eintippte. Das würde ihm nachher von Nutzen sein.
Travis ging vorwärts in der Zeit, bis er sah, dass Silvia ihren Safe öffnete, der sich nicht traditionell hinter einem Bild befand, sondern in der doppelten Rückwand eines Bücherregals. Er beobachtete, wie Silvia die Kombination eingab, und öffnete den Safe. Darin lagen nur Dokumente, die die Organisation betrafen und einige Bündel Hundertdollarscheine, die zusammen fünftausend Dollar ergaben. Nichts Spektakuläres oder Ungesetzliches.
Weitere Kostenlose Bücher