Gefaehrliche Spur
Auch kein geheimer Laptop, Tablet oder Smartphone.
Als er den Safe schloss, waren bereits neun Minuten vergangen. Er lauschte auf den Gesang, der von draußen hereindrang, und stellte fest, dass er sich mit der Zeit nicht verschätzt hatte. Die Gruppe war bei der siebzehnten Strophe. Er hatte also noch ein bisschen Zeit. Er konzentrierte sich erneut, wandte aber diesmal die magische Sicht an, während er langsam durch die Räume ging. Nirgends gab es Anzeichen dafür, dass in diesem Haus in letzter Zeit oder überhaupt jemals magische Kräfte am Werk gewesen waren. Falls Silvia also mit dem Tod der Lottomillionäre und dem Verschwinden der Obdachlosen zu tun gehabt hatte, dann waren die entsprechenden Rituale nicht in ihrem Haus vorgenommen worden.
Er ging in den Keller und sah sich um. Seine Retrospektion zeigte ihm, dass während der letzten vierundzwanzig Stunden niemand hier gewesen war. Auch hier gab es keine Anzeichen für die Anwendung von Magie. Laut Sam blieben solche Spuren aber je nach Intensität der angewendeten Magie über Wochen, Jahre und manchmal sogar Jahrhunderte erhalten. Falls Silvia tatsächlich mit den magischen Ereignissen in Portland zu tun haben sollte, dann hatten die nie in ihrem Haus stattgefunden.
Er ging wieder nach oben und musste alle weiteren Nachforschungen auf später verschieben, denn er hörte, dass der Vorsänger die Schlussstrophe begann. Er trat wieder auf die Terrasse hinaus. Rya stand ein Stück abseits der anderen und sang mit. Verdammt, sie war eine teuflische Versuchung! Was eine zusätzliche Komplikation darstellte, denn Travis konnte es sich nicht leisten, Gefühle zuzulassen, solange er noch mitten in diesem vertrackten Fall steckte. Oder überhaupt, denn er konnte Rya schließlich nicht gestehen, dass er nicht Tom Fox, sondern FBI-Agent einer geheimen Sondereinheit war. Er konnte ihr nicht einmal gestehen, wer er wirklich war, ohne sie zutiefst zu verletzen; selbst wenn er seinen Beruf verschwieg. Dabei hatte sie gerade begonnen, Vertrauen zu ihm zu fassen. Scheiße!
Der Gesang endete, und der Run auf die Fruchtsäfte und andere Getränke begann. Rya drehte sich um und entdeckte Travis. Ihr Gesicht erhellte sich in einer Weise, die ihn tief berührte; die nicht sein durfte. Nicht hätte sein dürfen. Verdammt!
Er ging zu ihr und nahm ihre Hand. Wie vorhin, als er ihre Hand gehalten hatte, wollte er etwas sagen, aber ihm fehlten die Worte. Weil keine Worte nötig waren. Da war etwas zwischen ihnen, das keiner Erklärungen bedurfte und jedes Wort nicht nur überflüssig machte, sondern gestört hätte. Er setzte sich mit ihr ans Feuer in das warme Gras und genoss ihre Nähe. Vor allem genoss er, dass sie keine Angst mehr hatte, so nahe bei ihm zu sein. Vielleicht war ihr das nicht bewusst, aber dass sie ihm gegenüber diese Angst überwunden hatte, sagte ihm eine Menge darüber, was in ihr vorging. Was sich bei ihr entwickelt hatte oder zumindest begonnen hatte zu entwickeln. Er konnte nur hoffen, dass er das nicht unabsichtlich zerstörte. Dass es ihm gelang, so spurlos aus ihrem Leben zu verschwinden, wie er darin aufgetaucht war. Und dass sie niemals erfahren musste, dass er nicht der war, der er vorgab zu sein.
*
Je weiter der Tag fortschritt und schließlich in den Abend überging, desto mehr entspannte Rya sich.
Abgesehen davon, dass das unter anderem darin begründet lag, dass kein weiteres Ritual mehr zelebriert wurde, wodurch die Gefahr entfiel, dass sie versehentlich ihre Tarnung verriet, war das zum größten Teil Toms Verdienst. Rya staunte, dass sie die Gegenwart so vieler fremder Menschen problemlos aushielt. Das war ihr nicht mehr gelungen, seit sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Toms bloße Anwesenheit gab ihr Sicherheit, obwohl oder wahrscheinlich gerade, weil er keine Annäherungsversuche unternahm, sondern die meiste Zeit nur schweigend mit ihr am Feuer saß, aber aufmerksam dafür sorgte, dass sie immer genug zu trinken in ihrem Becher hatte und einen Snack auf dem Teller.
Es gefiel ihr, auf derart respektvolle Art verwöhnt zu werden, ohne dass eine Gegenleistung erwartet wurde. Trotzdem fühlte sie sich unruhig, weil sie darauf wartete, dass sich endlich alle zurückzogen, damit sie freie Bahn zum Schnüffeln hätte. Gleichzeitig kam sie sich deswegen undankbar vor. Aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen, denn sie hatte einen Job zu erfüllen, für den sie bezahlt wurde. Silvia Carter hatte ihr gesagt, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher