Gefaehrliche Tiefen
Schwalbe fest in ihrem tödlichen Griff.
Sam fuhr fort, den Flug zu filmen. Hätte sie in jenem Moment ein Gewehr gehabt, hätte sie die Eule erschossen. Ein verrückter Gedanke für eine Naturforscherin. Dies war die natürliche Ordnung der Dinge. Das Schwalbenküken hatte Mutter oder Vater verloren, die Eule aber hatte heute Nacht Fressen für ihre Jungen gefunden. Als sie dem leisen Tschilpen des verborgenen, jetzt verwaisten Kükens lauschte, musste Sam an Dans kleinen Sohn denken. Er würde aufwachsen und sich fragen, warum sein Daddy nicht nach Hause kam. Warum war Dan ermordet worden? Ihre Gedanken wanderten weiter zu Bergit. Eine unschuldige Touristin, auf die geschossen worden war, um Zing zu verjagen. Sie hatte die Nase gestrichen voll von Räubern, menschlichen wie tierischen.
Ganz in der Nähe stieg ein Vogelschwarm in die Luft. Als die Flügelschläge und die heiseren Schreie verklangen, hörte Sam auf dem Pfad hinter sich die Geräusche von Schritten.
19
Bevor sie sich umdrehen konnte, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. »Nur keine Panik«, sagte J . J. »Ich bin es nur.«
Sam lieà den Stein fallen, den sie gepackt hatte. »Wie bist du hierhergekommen?«
»Mit einem
Panga
.«
»Das hat man dir erlaubt?«
»Ich habe nicht gefragt.« J . J. lächelte. »Bist du wieder hundertprozentig fit?«
»Zu achtzig vielleicht. Ich habe Kopfschmerzen, und meine Hände kribbeln noch.«
»Und du bist immer noch ein bisschen durch den Wind wegen heute Morgen.«
Sam musterte das Gesicht der Frau. »Du etwa nicht?«
J . J. lieà sich auf der Steintreppe nieder. Sam setzte sich neben sie.
J . J. zog den ReiÃverschluss ihres schwarzen Plastikbauchbeutels auf, kramte kurz darin herum und holte schlieÃlich ein geknicktes Foto heraus.
Auf dem Bild war ein Mann Mitte dreiÃig mit wilder Haarmähne und verwegenem Lächeln zu sehen. Er prostete der Kamera mit einem Champagnerglas zu.
»Carl Bascom. Mein Lover, würde man heutzutage wohl sagen. Wir waren verlobt.« J . J. verzog das Gesicht. »Das wurde aufgenommen, bevor ihm eine Landmine das rechte Bein abgerissen hat.«
GroÃer Gott!
»Ist er ⦠War er Soldat?«, fragte Sam.
J . J. schüttelte den Kopf. »Er war Biologe bei der NPF , wie ich auch. Er hat Berichte über Wilderer in einem Tigerreservat in Thailand überprüft.«
Sam hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Sie gab das Foto zurück.
J . J. fuhr mit dem Finger zärtlich über das Bild ihres Geliebten. »Die Wilderer hatten irgendwann die Nase voll davon, den Spuren der Tiger zu folgen. Die Katzen waren zu unberechenbar«, sagte sie traurig. »Deshalb haben sie rund um das Wasserloch Landminen ausgelegt.«
Sam versuchte, sich die Folgen für Mensch und Tier nicht allzu bildlich vorzustellen. »Das tut mir leid, J . J.«
»Carl hat unsere Verlobung gelöst. Er sagte, er wolle mir keinen verstümmelten Mann aufbürden.« J . J. steckte das Foto in ihren Beutel zurück, fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und blickte dann in Richtung untergehender Sonne. »Im Moment sind fünfzig Teams der NPF über den ganzen Globus verteilt und zählen Pflanzen, Tiere, Insekten. Die Welt muss endlich aufgerüttelt werden, und dafür werden wir sorgen.« Sie spitzte die Lippen und überlegte kurz, dann sah sie zu Sam. »Natürlich wollen uns die Einheimischen Angst einjagen. Sie sind ganz scharf darauf, dass das chinesische Unternehmen das neue Ferienresort errichtet.«
Mit grimmigem Blick sah sie wieder aufs Meer hinaus. »Aber diese Schläger werden keinen Erfolg haben. Jemand muss sich für die Tiere einsetzen. Für den Planeten. Selbst wenn sie uns töten â uns zu Märtyrern machen, wie Kazaki â, werden wir den Kampf fortsetzen. Die NPF schickt dann eben andere. Letztlich spielt es also keine Rolle, was aus uns wird.«
Spielt keine Rolle?
Sam lief es kalt den Rücken herunter, was allerdings nicht an der frischen Brise lag, die den Hügel heraufwehte.
»Du bist nicht gestorben«, fuhr J . J. fort, »und Zing â¦Â«
»Bergit«, verbesserte Sam sie. Bergit hatte keine Ahnung, dass sie in einen Krieg verwickelt worden war. Die Begriffe
unbeteiligte Zuschauer
und
Kollateralschäden
kamen ihr in den Sinn.
»⦠ist nicht gestorben. Ein Sieg für unsere
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