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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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als Mensch, ohne seine Fähigkeiten als Lakai auch nur eine Sekunde in Frage zu stellen. Nicht einmal trieb er Phillips dazu, boshaft oder übelwollend zu erscheinen. Es war eine meisterhafte Darbietung. Rathbone blieb lediglich, Phillips zu fragen, ob er die leiseste Ahnung gehabt hätte, daß dieser verdorbene, überhebliche junge Mann seine verstiegenen Hoffnungen sogar bis auf die Tochter seines Herrn ausgedehnt hatte - worauf Phillips in entsetzte Unschuldsbeteuerungen ausbrach. Allerdings hätte ohnehin niemand mit einer positiven Antwort gerechnet. Nicht jetzt.
    Das einzige andere Mitglied des Personals auf O'Hares Zeugenliste war Rose.
    Sie hatte sich äußerst kleidsam angezogen. Schwarz machte sich gut zu ihrer hellen Haut und dem strahlenden Blau ihrer Augen. Die Situation beeindruckte sie zwar, doch überwältigt war sie keineswegs; ihre Stimme hallte fest und kräftig durch den Saal. Unter kaum merklicher Nachhilfe von seiten O'Hares, der vor Anteilnahme geradezu triefte, erzählte sie ihm, daß Percival anfangs nur sehr nett zu ihr gewesen wäre, sie zwar offen bewundert, sich aber nie daneben benommen hätte. Dann hätte er ihr nach und nach Grund zu dem Glauben gegeben, seine Gefühle seien ernsterer Natur, bis er schließlich recht unverblümt hätte durchblicken lassen, daß er sie heiraten wolle.
    Diesen ersten Teil ihres Berichts gab sie in ruhigem, vernünftigem Tonfall ab. Dann klang ihre Stimme plötzlich gepreßt, voll unterdrückter Leidenschaft, als sie O'Hare - weder ans Publikum noch an die Geschworenen gerichtet - erklärte, wie Percivals Aufmerksamkeit ihr gegenüber langsam nachgelassen und er immer öfter von Miss Octavia gesprochen hätte. Laut seinen Worten hätte sie ihn mit Lob überschüttet, ihn nach den trivialsten Dingen geschickt, um so oft wie möglich in seiner Nähe zu sein, sich verführerischer angezogen und viele Bemerkungen über sein kultiviertes Auftreten oder sein angenehmes Äußeres gemacht.
    »Geschah das vielleicht in der Absicht, Sie eifersüchtig zu machen, Miss Watkins?« fragte O'Hare mit Unschuldsmiene.
    Sie erinnerte sich plötzlich an ihr Dekorum, schlug die Augen nieder, wechselte die gehässige gegen die gekränkte Geliebte und erwiderte demütig:
    »Eifersüchtig, Sir! Wie könnte ich auf eine Lady wie Miss Octavia eifersüchtig sein? Sie war wunderschön. Sie hatte Manieren, war gebildet, besaß all die herrlichen Kleider - wie kann eine wie ich es damit aufnehmen?« Nach kurzer Pause fuhr sie fort: »Außerdem hätte sie ihn niemals geheiratet, allein die Vorstellung ist lächerlich. Wenn ich eifersüchtig wäre, dann auf ein Dienstmädchen wie mich! Eine, die ihm echte Liebe bieten könnte, ein Heim, vielleicht eine Familie.« Sie betrachtete ihre schmalen, kräftigen Hände, blickte dann unvermittelt auf. »Nein Sir, sie hat ihm gefallen, ihm den Kopf verdreht. Ich dachte immer, so was passiert nur Stubenmädchen, die sich von gottlosen Hausherren ausnutzen lassen. Ich hätte nie geglaubt, daß ein Lakai so verrückt sein kann. Oder eine Lady…« Sie schlug erneut die Augen nieder.
    »Das glauben Sie also wirklich, Miss Watkins?« hakte O'Hare nach.
    Entsetzt riß sie die Augen wieder auf. »Aber nein, Sir. Ich habe nicht einen Moment angenommen, Miss Octavia hätte irgend etwas in der Art getan! Ich glaube, Percival ist ein eitler, dummer Kerl, der sich einbildete, sie würde vielleicht. Und als ihm klar wurde, was für einen Narren er aus sich gemacht hat - na ja - das war zuviel für seinen Stolz, und da verlor er die Beherrschung.«
    »Ist er jähzornig, Miss Watkins?«
    »O ja, Sir, ich fürchte schon.«
    Die letzte Person, die in den Zeugenstand gerufen wurde, um sich über Percivals Charakter - beziehungsweise dessen finstere Seiten - auszulassen, war Fenella Sandeman. Sie kam in einer Wolke aus schwarzem Taft und zarter Spitze in den Gerichtssaal geschwebt, auf dem Kopf einen modisch weit hinten sitzenden, riesigen Hut, der ihre unnatürliche Blässe, das pechschwarze Haar und die rosigen Lippen gekonnt betonte. Auf die Entfernung, aus der die meisten Zuschauer sie sahen, bot sie einen umwerfenden Anblick. Ein verwirrender Zauber ging von ihr aus, die dramatische Aura einer gramgebeugten schönen Frau.
    Auf Hester wirkte dieser Auftritt angesichts einer Verhandlung, bei der jemand auf dem besten Wege war, zum Tod durch den Strang verurteilt zu werden, pathetisch und grotesk.
    O'Hare stand auf und ging übertrieben höflich mit ihr um, als

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