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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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wäre sie zerbrechlich und brauchte sein ganzes Feingefühl.
    »Mrs. Sandeman, soviel ich weiß, sind Sie Witwe und wohnen im Haus Ihres Bruders, Sir Basil Moidore?«
    »Das ist richtig«, bestätigte sie, überlegte einen Moment, ob sie sich den Anschein eines Menschen geben sollte, der sein Schicksal tapfer ertrug, entschied sich dann aber für den heldenhaften Frohsinn eines mutigen Kämpfers, setzte ein strahlendes Lächeln auf und hob mit einem kecken Ruck das spitze Kinn.
    »Sie leben dort seit…« O'Hare stockte, als müßte er angestrengt nachdenken, »… etwa zwölf Jahren?«
    »Jawohl.«
    »Sie müssen die übrigen Hausbewohner recht gut kennen, wenn Sie sie über einen so langen Zeitraum hinweg in all ihren unterschiedlichen Stimmungen erlebt haben. Zweifellos haben Sie sich anhand Ihrer Beobachtungen das ein oder andere Urteil gebildet.«
    »Das kann man wohl sagen - es geschieht quasi von allein«, gab sie mit routiniert heiserer Stimme zurück; um ihren Mund spielte ein leicht sarkastisches Lächeln. Hester wäre am liebsten mit ihrem Stuhl verschmolzen und unsichtbar geworden, aber neben ihr saß Beatrice. Sie warf einen raschen Blick auf ihr Profil, das gänzlich hinter einem dichten Schleier verborgen war.
    »Wir Frauen sind sehr feinfühlig, was andere Menschen betrifft«, fuhr Fenella fort. »Das müssen wir auch sein - Menschen sind unser Leben.«
    »Ganz recht.« O'Hare erwiderte ihr Lächeln. »Waren in Ihrem eigenen Haushalt auch Bedienstete beschäftigt, ehe Ihr Mann… verschied?«
    »Selbstverständlich.«
    »Dann müssen Sie eine gewisse Übung haben, was die Beurteilung ihres Charakters und ihrer Tauglichkeit betrifft«, folgerte O'Hare mit einem raschen Seitenblick auf Rathbone.
    »Was fiel Ihnen an Percival Garrod auf, Mrs. Sandeman? Was halten Sie von ihm?« Er hob eine bleiche Hand, wie um eventuellen Einsprüchen von Seiten des Verteidigers vorzubeugen. »Natürlich auf Ihre Beobachtungen in der Queen Anne Street gestützt.«
    Sie senkte den Blick, woraufhin sich gespanntes Schweigen über den Saal legte.
    »Er hat seine Aufgaben stets zufriedenstellend erledigt, Mr.
    O'Hare, aber er war anmaßend und habgierig. Er hatte eine Schwäche für elegante Kleidung und gutes Essen«, sagte Fenella sanft, aber überdeutlich. »Er strebte nach Höherem und war von einer Art innerer Wut zerfressen, daß er auf die soziale Schicht beschränkt bleiben sollte, die Gott für ihn ausgesucht hat. Er spielte mit den Gefühlen unserer armen Rose Watkins und dann, als er seine Stunde für gekommen hielt…« Sie sah auf und schenkte O'Hare einen betörenden Blick; ihre Stimme wurde noch eine Spur heiserer. »Entschuldigen Sie, ich weiß wirklich nicht wie ich mich ausdrücken soll, ohne taktlos zu klingen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir helfen könnten.«
    Neben Hester sog Beatrice scharf den Atem ein. Die Hände in den eleganten Glacehandschuhen verkrampften sich auf ihrem Schoß.
    O'Hare eilte freudig zu Fenellas Rettung herbei. »Möchten Sie vielleicht sagen, Ma'am, daß er amouröse Vorstellungen bezüglich eines Familienmitglieds hegte?«
    »Ja, ich denke, so könnte man es formulieren«, erwiderte sie übertrieben geziert. »Das ist leider genau das, was ich - was Ihnen mitzuteilen meine Pflicht ist. Ich habe ihn mehr als einmal erwischt, wie er ungehörige Dinge über meine Nichte Octavia gesagt hat. Und er hatte dabei einen Ausdruck im Gesicht, den man als Frau nicht mißverstehen kann.«
    »Ich verstehe. Das muß eine sehr unangenehme Lage für Sie gewesen sein.«
    »In der Tat!«
    »Was haben Sie dahingehend unternommen, Ma'am?«
    »Unternommen?« Sie starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Nun, verehrter Mr. O'Hare, was hätte ich unternehmen können? Wenn Octavia selbst nichts dagegen hatte, welche Möglichkeit hätte ich oder irgend jemand sonst gehabt?«
    »Und sie hatte nichts dagegen?« O'Hares Stimme wurde vor Staunen lauter. Er ließ seinen Blick einen kurzen Moment grimmig über die Menge schweifen und konzentrierte sich dann wieder auf Fenella. »Sind Sie absolut sicher, Mrs. Sandeman?«
    »O ja, absolut, Mr. O'Hare. Obwohl ich zutiefst bedaure, es hier, in aller Öffentlichkeit, bekanntmachen zu müssen.« Sie sprach jetzt etwas stockend, woraufhin Beatrice sich derart verkrampfte, daß Hester fürchtete, sie würde jeden Augenblick losschreien. »Die arme Octavia schien sich durch sein Interesse geschmeichelt zu fühlen«, fuhr Fenella gnadenlos

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