Gefährliche Trauer
erotisches Interesse an Ihnen zum Ausdruck gebracht?« hakte Rathbone nach.
»Jawohl.«
»Wie haben Sie reagiert, Ma'am?«
Sie riß die Augen auf und funkelte ihn wütend an. »Ich habe ihn in seine Schranken verwiesen, Mr. Rathbone. Ich bin sehr wohl in der Lage, mit einem größenwahnsinnigen Dienstboten fertig zu werden.«
An Hesters Seite begann Beatrice, sich von neuem zu versteifen.
»Das sind Sie zweifellos«, bestätigte Rathbone in vielsagendem Ton. »Anscheinend wiegten Sie sich in Sicherheit. Sie fanden es nicht angebracht, mit einem Tranchiermesser bewaffnet zu Bett zu gehen?«
Fenella erbleichte merklich. Ihre zur Hälfte behandschuhten Finger umklammerten das zwischen ihr und Rathbone liegende Geländer.
»Seien Sie nicht albern. Natürlich nicht!«
»Und Sie hielten es dennoch nicht für nötig, Ihr so überaus nützliches Wissen an Ihre Nichte weiterzugeben?«
»Ich - äh…« Jetzt fühlte sie sich sichtlich unwohl.
»Sie wußten, daß Percival ein erotisches Interesse an ihr hatte.« Rathbone ging mit leichten, federnden Schritten auf und ab, als befände er sich in einem Salon, nicht im Gerichtssaal. In seinem süßlichen Tonfall schwang unverhohlene Verachtung mit. »Und ließen zu, daß sie sich einsam genug fühlte, ein Küchenmesser mit ins Bett zu nehmen, um sich im Notfall gegen Percivals nächtlichen Überraschungsangriff verteidigen zu können?«
Die Gesichter der Geschworenen machten keinen Hehl aus ihrer enormen Verwirrung.
»Ich wußte doch nicht, daß er so etwas vorhatte«, protestierte Fenella. »Sie versuchen mir zu unterstellen, ich hätte es absichtlich geschehen lassen. Das ist ungeheuerlich!« Sie sah sich hilfesuchend nach O'Hare um.
»Nein, Mrs. Sandeman«, korrigierte Rathbone. »Ich versuche herauszufinden, wie eine Dame mit Ihrer Erfahrung, Ihrer ausgezeichneten Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis zusehen kann, wie ein Lakai Ihrer Nichte nachstellt - die Sie selbst für dumm erklären, weil sie ihm ihr Mißfallen nicht in aller Deutlichkeit klargemacht hat -, und die Angelegenheit trotzdem nicht in die Hand nimmt, indem sie sich zumindest einem anderen Familienmitglied anvertraut!«
Sie starrte ihn entsetzt an.
»Ihrer Mutter zum Beispiel«, fuhr Rathbone fort. »Oder ihrer Schwester. Man hätte Percival auch einfach darauf hinweisen können, daß seine Absichten nicht verborgen geblieben sind. Dies hätte den tragischen Ausgang der Geschichte vermutlich verhindert. Hätten Sie, als Ältere und Klügere, die schon viele derartige Mißgriffe abwenden mußte, Mrs. Haslett nicht zur Seite nehmen und Ihren Beistand anbieten können?«
Fenella war völlig durcheinander.
»Sicher - wenn ich gewußt hätte…«, stammelte sie. »Aber ich wußte es nicht. Ich hatte keine Ahnung, daß es - daß so etwas …«
»Wirklich nicht?« versetzte Rathbone brutal.
»Nein!« Ihre Stimme wurde allmählich schrill. »Ihre Unterstellung ist widerlich! Ich hatte nicht den leisesten Verdacht!«
Beatrice gab ein unterdrücktes, angeekeltes Stöhnen von sich.
»Sie mußten geahnt haben, Mrs. Sandeman, wie das Ganze enden würde - wenn Percival sich Ihnen tatsächlich unsittlich genähert hat und Sie ein provokantes Verhalten Mrs. Haslett gegenüber beobachtet haben. Schließlich stehen Sie nicht in der Welt wie ein neugeborenes Kind!«
»Ich habe es nicht geahnt! Was Sie da andeuten, heißt nichts anderes, als daß ich seelenruhig zugesehen habe, wie Octavia vergewaltigt und ermordet wurde! Das ist eine unglaubliche Frechheit, außerdem absolut unwahr!«
»Ich glaube Ihnen, Mrs. Sandeman.« Rathbone lächelte plötzlich - ohne die leiseste Spur von Humor.
»Das will ich Ihnen auch geraten haben!« Fenellas Stimme zitterte ein wenig. »Ich erwarte eine Entschuldigung, Sir.«
»Es klingt absolut plausibel, daß Sie nichts davon geahnt haben«, fuhr Rathbone ungerührt fort, »wenn nicht sogar ein Großteil von dem, was Sie uns da aufgetischt haben, frei erfunden ist. Percival war extrem ehrgeizig und arrogant, aber Ihnen hat er sich bestimmt nicht unsittlich genähert, Mrs. Sandeman. Vergeben Sie mir, Ma'am - aber Sie könnten seine Mutter sein!«
Fenella wurde weiß vor Zorn, die Menge schnappte hörbar nach Luft. Irgendwo löste sich ein Kichern. Einer der Geschworenen bedeckte sein Gesicht mit einem Taschentuch und schien sich ausgiebig die Nase putzen zu müssen.
Rathbones Gesicht war nahezu ausdruckslos.
»Sie haben auch keine einzige dieser abstoßenden,
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