Gefährliche Trauer
gar nicht lange aufgehalten werden - auch nicht von allen Pomeroys der Welt.«
»Und in der Zwischenzeit werde ich Mr. Monk ausfindig machen und den Fall noch einmal mit ihm durchgehen. Nur um sicherzugehen, daß wir keine Möglichkeit ausgelassen haben.«
»Falls Ihnen etwas einfallen sollte, kommen Sie zu mir.« Jetzt war er ernst. »Versprechen Sie mir das? Uns bleiben noch drei Wochen, um Berufung einzulegen.«
»Ja, ich verspreche es«, erwiderte Hester grimmig. Das bleierne, elende Gefühl der Ausweglosigkeit war wieder da. Bei dem Gedanken an Percival hatte sich die angenehme Wärme, die sie noch vor wenigen Sekunden erfüllt hatte, verflüchtigt.
»Und ob ich kommen werde!« Sie wünschte ihm noch einen schönen Tag und machte sich auf den Weg, Monk zu suchen.
Hester kehrte leichtfüßig in die Queen Anne Street zurück. Das Gefühl absoluter Niedergeschlagenheit lauerte jedoch noch am Rande ihres Bewußtseins, jederzeit bereit, erneut zuzuschlagen, sobald sie gezwungen war, sich wieder der Realität zu stellen.
Zu ihrer Überraschung erzählte ihr Mary gleich als erstes, Beatrice hätte sich in ihrem Zimmer vergraben und wäre nicht zum Dinner heruntergekommen. Hester war ins Bügelzimmer gegangen, um sich eine frische Schürze zu holen, wo Mary gerade ein Bettlaken zusammenfaltete.
»Ist sie krank?« erkundigte sie sich mit Sorge und etwas schlechtem Gewissen, nicht nur, weil man ihr eventuell vorwerfen konnte, ihre Pflichten vernachlässigt zu haben, sondern weil sie nicht geglaubt hatte, Beatrices momentanes »Unwohlsein« wäre etwas anderes als der Wunsch, ein wenig verwöhnt zu werden. Was für Hester im übrigen ein unerforschliches Rätsel darstellte. Beatrice war nicht nur eine wunderschöne Frau, sie besaß obendrein jede Menge Energie und hatte durchaus ihre eigenen Vorstellungen ganz anders als die gefällige Romola. Außerdem war sie intelligent und fantasievoll und überraschte einen zuweilen mit einer kräftigen Portion Humor.
»Sie sah blaß aus«, erwiderte Mary mit einer kleinen Grimasse. »Aber das tut sie ja immer. Ich glaube, sie hat eine Mordswut, auch wenn ich so was eigentlich nicht sagen darf.«
Hester grinste. Daß Mary etwas eigentlich nicht sagen durfte, hatte sie noch nie zögern lassen, geschweige denn abgehalten.
»Auf wen?« erkundigte sie sich gespannt.
»Ach, auf alles und jeden, aber auf Sir Basil ganz besonders.«
»Wissen Sie warum?«
Mary zuckte graziös mit den Schultern. »Wegen dem, was bei der Verhandlung über Miss Octavia gesagt worden ist wahrscheinlich.« Sie machte ein finsteres Gesicht. »Mein Gott, war das furchtbar! Da behaupten die tatsächlich, sie wäre so beschwipst gewesen, daß sie den Lakai zu unsittlichen Annäherungsversuchen ermutigt hat…« Sie brach ab und schaute Hester vielsagend an. »Gibt einem ganz schön zu denken, was?«
»Stimmt es denn nicht?«
»Ich hab's jedenfalls kein einziges Mal mitgekriegt.« Mary war zutiefst empört. »Schön, sie hatte manchmal einen sitzen, aber Miss Octavia war eine Lady! Sie hätte sich niemals von Percival anfassen lassen, und wenn er das einzige männliche Wesen auf einer einsamen Insel gewesen war. Wenn Sie's genau wissen wollen, glaub ich sogar, sie hat sich nach Mr. Hasletts Tod von gar niemand mehr anfassen lassen. Was Mr. Myles ja auch so auf die Palme gebracht hat. Wenn sie ihn erstochen hätte - das würd ich verstehen!«
»War er tatsächlich so scharf auf sie?« Zum erstenmal wagte Hester, das Kind beim Namen zu nennen.
»Na, und wie. Sie hätten ihn bloß anschauen brauchen! Sie war unheimlich hübsch, sie war nett - auf 'ne ganz andere Art als Miss Araminta. Man hat sie nie zu sehen gekriegt, aber sie war so voller Leben…« Das Elend hatte Mary plötzlich fest im Griff. Die ohnmächtige Wut, der unterdrückte Schmerz - all das kam wieder hoch. »Das war richtig gemein, was sie über Miss Octavia gesagt haben! Warum tun die Leute so was?« Sie hob trotzig das Kinn und starrte Hester aus funkelnden Augen an.
»Denken Sie bloß an das ganze ekelhafte Zeug über Dinah, Mrs. Willis und die andern alle. Das werden sie der alten Hexe nie verzeihen! Warum hat sie das getan?«
»Aus Bosheit vielleicht?« schlug Hester vor. »Oder aus Exhibitionismus? Sie liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Sobald sie jemandes Interesse auf sich gezogen hat, fühlt sie sich lebendig; sie ist plötzlich wer.«
Mary schaute verwirrt drein.
»Manche Menschen sind so.« Hester versuchte eine
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