Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
verteidigen suchte?«
    Er schüttelte den Kopf und zuckte ratlos mit den Schultern.
    »Meinen Sie nicht, daß sie ihm erst einmal gedroht hat? Sie wäre doch sicher nicht mit gezückter Waffe auf ihn losgestürzt! Und er? Er setzte sich zur Wehr, entwand ihr das Messer«, Rathbone hielt beide Hände hoch, »und stach sie im anschließenden Gerangel nieder. Trotzdem hat keiner der beiden irgendeinen Laut von sich gegeben! Die ganze malerische Szene soll in völliger Stille über die Bühne gegangen sein. Fällt Ihnen nicht schwer, das zu glauben, Mr. Moidore?«
    Die Geschworenen rutschten unruhig auf ihren Plätzen herum, Beatrice atmete heftig.
    »Allerdings!« bestätigte Cyprian mit erwachender Verwunderung. »Sie haben vollkommen recht - es kommt mir sogar ausgesprochen seltsam vor. Ich begreife nicht, warum sie nicht geschrien hat.«
    »Genausowenig wie ich, Mr. Moidore«, stimmte Rathbone ihm zu. »Es wäre mit Sicherheit ein effektiverer Weg der Selbstverteidigung gewesen - außerdem weniger gefährlich und für eine Frau eher das Mittel der Wahl als ein Tranchiermesser.«
    O'Hare sprang auf.
    »Nichtsdestotrotz, Mr. Moidore, meine Herren Geschworene, bleibt die Tatsache bestehen, daß sie ein Tranchiermesser hatte und damit erstochen worden ist. Wir werden vermutlich nie erfahren, was für eine bizarre, verstohlene Unterhaltung in jener Nacht stattgefunden hat. Wir wissen jedoch mit hundertprozentiger Sicherheit, daß Octavia Haslett erstochen wurde - und sowohl die blutverkrustete Tatwaffe als auch ihr zerrissener, blutbesudelter Morgenmantel befanden sich in Percivals Zimmer. Müssen wir denn über jedes Wort und jede Geste Bescheid wissen, um uns ein Urteil bilden zu können?«
    Ein Raunen ging durch die Menge. Die Geschworenen nickten. Beatrice stieß ein unterdrücktes Stöhnen aus.
    Als letzter Zeuge wurde Septimus aufgerufen. Er berichtete, wie er Octavia am letzten Tag ihres Lebens begegnet war und sie ihm von ihrer bestürzenden, furchtbaren Entdeckung erzählt hätte, für die ihr der endgültige Beweis jedoch noch fehlte. Unter O'Hares Druck mußte er allerdings zugeben, daß sonst niemand das Gespräch mitangehört, er es auch keinem anderen wiedergegeben hatte. Infolgedessen, verkündete O'Hare triumphierend, bestünde auch nicht der geringste Grund für die Annahme, ihre sonderbare Entdeckung hätte etwas mit ihrem Tod zu tun. Septimus fühlte sich unwohl. Er wies darauf hin, daß nur, weil er niemandem davon erzählt hätte, Octavia nicht zwangsläufig dasselbe getan haben müßte.
    Aber es war zu spät. Der Entschluß der Geschworenen stand bereits fest, und nichts von dem, was Rathbone in seinem Plädoyer sagte, konnte daran noch etwas ändern. Sie zogen sich nur kurz zur Beratung zurück. Als sie mit bleichen Gesichtern und entschlossenem Blick zurückkehrten, sahen sie überall hin, nur nicht in Percivals Richtung. Sie sprachen ihn schuldig, mildernde Umstände gab es keine.
    Der Richter setzte sein Barett auf und verkündete das Urteil. Percival sollte vorerst an den Ort zurückgebracht werden, wo er hergekommen war. In drei Wochen würde man ihn in den Hinrichtungshof führen und hängen. Mochte Gott seiner Seele gnädig sein, hier auf Erden hatte er nichts dergleichen mehr zu erwarten.

10
    »Es tut mir leid«, sagte Rathbone sanft. Er schaute Hester bekümmert an. »Ich habe getan, was ich konnte, aber die Gemüter waren zu erregt, außerdem konnte ich den Geschworenen niemand präsentieren, der ein ähnlich starkes Motiv gehabt hätte.«
    »Kellard vielleicht?« meinte Hester ohne Hoffnung oder Überzeugung. »Falls sie tatsächlich mit jemandem gekämpft hat, muß es nicht unbedingt Percival gewesen sein. Es wäre sogar logischer, wenn sie sich gegen Myles gewehrt hätte, dann wäre Schreien nämlich sinnlos gewesen. Er hätte einfach behaupten können, er hätte sie schreien gehört und wäre zu ihr gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Er hätte eine weitaus bessere Erklärung für sein Erscheinen gehabt als Percival. Bei Percival hätte vermutlich die Drohung gereicht, ihn aus dem Haus jagen zu lassen, was bei Myles unmöglich war. Außerdem wollte sie vielleicht nicht, daß Araminta davon erfuhr.«
    »Ich weiß.« Rathbone stand kaum mehr als einen Meter von ihr entfernt neben dem Kamin in seinem Büro. Die Niederlage setzte ihr gewaltig zu. Sie fühlte sich geschlagen, kam sich wie ein vollkommener Versager vor. Hatte sie sich am Ende geirrt, und Percival war doch schuldig?

Weitere Kostenlose Bücher