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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zwang man uns, Antworten zu finden - größtenteils häßliche Antworten über uns selbst, unsere Hinterhältigkeit, unseren Egoismus, unsere bodenlose Feigheit.« Sie deponierte die Haarnadeln in einem Schälchen aus geschliffenem Glas und griff nach ihrer silbernen Bürste.
    »Das mit Myles und dem armen Dienstmädchen hatte ich völlig vergessen. Es klingt vielleicht unglaublich, aber es ist wahr. Vermutlich habe ich mir damals nicht viel Gedanken darüber gemacht, weil Araminta nichts davon wußte.« Sie begann mit langen, heftigen Strichen ihr Haar zu traktieren. »Ich bin solch ein Feigling, nicht wahr.« Auch das war eine Feststellung, keine Frage. »Ich sah nur, was ich sehen wollte, vor dem Rest verschloß ich die Augen. Und Cyprian, mein über alles geliebter Cyprian, tat genau das gleiche: niemals gegen seinen Vater aufmucken, sich in eine Traumwelt zurückziehen, spielen und die Zeit vertrödeln, anstatt das zu tun, was er wirklich tun wollte.« Die Bürstenstriche wurden noch unsanfter.
    »Romola langweilt ihn zu Tode, wissen Sie. Bisher spielte das keine große Rolle, aber jetzt ist ihm plötzlich aufgegangen, wie interessant menschliche Gesellschaft und Gespräche sein können, wo die Leute sagen, was sie denken, statt höfliche Gemeinplätze auszutauschen. Inzwischen ist es natürlich viel zu spät.«
    Ohne jede Vorwarnung wurde Hester sich bewußt, was sie angerichtet hatte, indem sie ihre Eitelkeit gepflegt und Cyprians Aufmerksamkeit in vollen Zügen genossen hatte. Sie war zwar nur zum Teil schuldig, weil sie nicht die Absicht gehabt hatte, jemand zu verletzen, aber das reichte ihr schon.
    »Und unsere bedauernswerte Romola«, fuhr Beatrice fort, während sie immer noch grimmig an ihren Haaren zerrte, »hat nicht die leiseste Vorstellung, was falsch gelaufen ist. Sie hat genau das getan, was ihr von Kindheit an eingebleut wurde, und dann funktioniert plötzlich nichts mehr.«
    »Vielleicht funktioniert es ja wieder«, sagte Hester lahm. Sie glaubte selbst nicht daran.
    Doch Beatrice achtete nicht auf stimmliche Untertöne. Ihre eigenen Gedanken schlugen viel zu laut Krawall.
    »Jetzt hat die Polizei Percival verhaftet, uns den Rücken gekehrt und mit dem Rätselraten, was wirklich passiert ist, allein gelassen. Warum haben sie das getan, Hester? Monk glaubt nicht an Percivals Schuld, dessen bin ich mir sicher.« Sie fuhr unvermittelt auf ihrem Stuhl herum, die Bürste noch in der Hand, und sah Hester forschend an. »Sie haben doch mit ihm gesprochen. Glauben Sie, daß er Percival für schuldig hält?«
    Hester ließ langsam den Atem entweichen. »Nein… nein, ich glaube es nicht.«
    Beatrice wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu und warf einen kritischen Blick auf ihr Haar. »Warum hat man Percival dann festgenommen? Monk war es nicht, wissen Sie das? Annie erzählte mir, es wäre jemand anders gewesen, nicht mal dieser junge Sergeant. Meinen Sie, es geschah aus Eigennutz? Die Presse macht einen entsetzlichen Wirbel um das Ganze und beschuldigte die Polizei, unfähig zu sein, hat Cyprian gesagt.
    Und ich weiß, daß Basil an den Innenminister geschrieben hat.« Ihre Stimme wurde leiser. »Ich nehme an, die maßgeblichen Stellen drängten auf eine rasche Lösung des Falles, aber ich hätte nie gedacht, daß Monk nachgeben würde. Ich hielt ihn für einen sehr starken Menschen.« Sie fügte nicht hinzu, daß Percival ein willkommenes Opferlamm war, falls die Karriere eines höheren Staatsdieners auf dem Spiel stand, aber der Gedanke stand ihr ins Gesicht geschrieben; der bittere Zug um ihren Mund und der Schmerz in ihren Augen waren nicht zu übersehen.
    »Einen von uns hätte man natürlich niemals beschuldigt, es sei denn, die Beweise wären erdrückend gewesen. Trotzdem muß ich immer wieder darüber nachdenken, ob Monk nicht ein Familienmitglied verdächtigt und nur nichts gefunden hat, um sein Handeln rechtfertigen zu können.«
    »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Hester rasch und fragte sich im selben Moment, wie sie diese Überzeugung erklären sollte. Beatrice lag mit ihrer Einschätzung unglaublich dicht an dem, was tatsächlich geschehen war: Runcorn, der Eigennutz über Monks Beurteilung stellte, die zahllosen Streitereien, der unaussprechliche Druck.
    »Wirklich nicht?« fragte Beatrice düster, während sie die Bürste aus der Hand legte. »Ich schon. Manchmal würde ich alles darum geben, zu wissen, wen von uns er in Verdacht hatte, einfach um mir nicht mehr den Kopf

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