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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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durchaus.« Jetzt machte auch Hester einen tief bekümmerten Eindruck. »In der eleganten Dame, die sich vor Kummer in ihrem Zimmer verkrochen hat, steckt noch ein anderer Mensch. Ein Mensch mit sehr viel Mut und Entsetzen über die Lügen und die Unmenschlichkeit.«
    »Dann gibt es also doch noch etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Wenn sie es wirklich wissen will, wenn die Angst und die unausgesprochenen Verdächtigungen unerträglich werden, wird es ihr eines Tages klarwerden.«
    Der Kellner erschien mit zwei Tassen und stellte sie vor ihnen ab. Monk bedankte sich höflich.
    »Irgendein Detail wird plötzlich einrasten«, fuhr er fort. »Ein Wort, eine Geste, eine Ungereimtheit - und dann weiß sie Bescheid. Genau wie der Täter, denn sie wird sich ihm gegenüber unmöglich so benehmen können wie vorher. Wie sollte sie auch.«
    »Wir müssen es vor ihr herausfinden!« Hester rührte energisch in ihrer Schokolade; bei jeder Umdrehung des Löffels drohte die Flüssigkeit überzuschwappen. »Sie weiß, daß nahezu jeder mehr oder weniger gelogen hat, weil Octavia nicht dem Bild entsprach, das während der Verhandlung von ihr gezeichnet wurde.« Sie erzählte ihm, was Beatrice im Verlauf ihres letzten Gesprächs gesagt hatte.
    »Kann sein.« Monk blieb skeptisch. »Wir dürfen nicht vergessen, daß Octavia ihre Tochter war. Vielleicht weigerte sie sich, sie so ungeschminkt zu sehen wie die anderen. Wenn Octavia in angetrunkenem Zustand indiskret wurde, eitel womöglich, und ihre Sinnlichkeit nicht mehr wie üblich an der Kandare hatte - wer weiß, vielleicht wollte ihre Mutter das nicht wahrhaben.«
    »Was soll das heißen?« fragte Hester aufgebracht. »Daß die Zeugenaussagen stimmten? Daß sie Percival ermutigt hat und ihre Meinung plötzlich änderte, als sie dachte, er würde sie beim Wort nehmen? Und daß sie ein Tranchiermesser mit ins Bett nahm, statt jemanden um Hilfe zu bitten?«
    Sie nahm ihre Tasse in die Hand. »Daß sie mitten in der Nacht einen tödlichen Kampf mit Percival ausgefochten und kein einziges Mal geschrien hat, obwohl ihr Bruder gleich nebenan schlief? Ich hätte mir die Lunge aus dem Hals gebrüllt!« Sie nahm einen kleinen Schluck. »Und sagen Sie bloß nicht, sie hätte sich geschämt, falls er behauptet hätte, sie hätte ihn eingeladen. Niemand von der Familie hätte Percivals Worten mehr Glauben geschenkt als ihren!«
    Monk lächelte hart. »Vielleicht hoffte sie, der bloße Anblick des Messers würde ihn in die Flucht schlagen - lautlos?«
    »Möglich«, stimmte Hester nach kurzem Zögern widerstrebend zu. »Aber ich glaube nicht daran.«
    »Ich auch nicht«, gestand Monk. »Zu vieles paßt nicht zusammen. Wir müssen herausfinden, was wahr ist und was nicht, und vor allem warum jemand gelogen hat - das wäre vermutlich am aufschlußreichsten.«
    »Und zwar in der Reihenfolge der Aussagen«, pflichtete Hester ihm eifrig bei. »Daß Annie gelogen hat, bezweifle ich. Sie erzählte, wie sie Octavia gefunden hat, und wir wissen alle, daß es stimmt. Gleichermaßen könnte der Arzt kaum ein anderes Interesse gehabt haben, als größtmögliche Genauigkeit an den Tag zu legen.« Vor lauter Konzentration verzog sich ihr Gesicht zu einer verkniffenen Grimasse. »Welchen Grund hat jemand zu lügen, obwohl er nicht in das Verbrechen verwickelt ist? Darüber müssen wir nachdenken. Dann besteht natürlich immer noch die Möglichkeit eines Irrtums - nicht aufgrund böser Absicht, sondern einfach aus Unwissenheit, wegen einer falschen Annahme oder eines dummen Fehlers.«
    Monk mußte gegen seinen Willen lachen. »Bei wem - der Köchin? Glauben Sie, Mrs. Boden könnte sich hinsichtlich des Messers geirrt haben?«
    Hester verstand seine Erheiterung.
    »Nein, ich wüßte nicht wie. Sie hat es sehr präzise identifiziert. Welchen Sinn sollte es ergeben, wenn das Messer woanders herkam? Es gab keinen Einbrecher. Ich fürchte, das Messer verrät uns nicht, wer es genommen hat.«
    »Mary?«
    Hester dachte einen Augenblick nach. »Sie ist ein Mensch mit sehr festen Standpunkten - was keineswegs eine Kritik sein soll. Trotzdem könnte Mary aus einer ihrer felsenfesten Überzeugungen heraus ein Irrtum unterlaufen sein, ganz ohne böse Absicht.«
    »Daß es gar nicht Octavias Neglige war, beispielsweise?«
    »Natürlich nicht. Außerdem war sie nicht die einzige, die es identifiziert hat. Sie haben damals auch Araminta gefragt, und sie erinnerte sich sogar daran, daß Octavia es am Abend ihres Todes

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