Gefährliche Trauer
diesbezüglich so empfindlich war.
»Stimmt«, gab Hester zu. »Aber es spielt keine Rolle. Ich denke, Romola würde alles aussagen, was Sir Basil ihrer Meinung nach erwartet. Er hat das Sagen im Haus; er verwaltet die Finanzen. Offene Forderungen zu stellen hat er nicht nötig, er zieht die Fäden im verborgenen. Es reicht vollkommen, wenn er seine Wünsche durchblicken läßt.«
»Wozu unter anderem gehört, daß der Mordfall Octavia Haslett so schnell und diskret wie möglich abgeschlossen wurde«, seufzte Monk. »Haben Sie gelesen, was in den Zeitungen steht?«
Hesters Brauen schossen nach oben. »Was für eine absurde Idee. Wo um Gottes willen hätte ich eine Zeitung auftreiben sollen? Ich bin ein Haussklave - noch dazu ein weiblicher! Sogar Lady Moidore wirft höchstens einen Blick in die Gesellschaftsspalten, und auch das ist ihr momentan zuviel.«
»Tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen.« Monk verzog das Gesicht.
»Was schreiben sie denn?« wollte Hester wissen. »Irgend etwas, das für uns von Interesse ist?«
»Allgemein? Sie betrauern den Zustand einer Nation, in der ein Lakai die Tochter seines Herrn ermorden kann, wo Dienstboten unter derartigem Größenwahn leiden, daß sie bezüglich der Hochwohlgeborenen wollüstige und verwerfliche Gedanken hegen. Sie befürchten, daß die Gesellschaftsordnung zusammenbricht, und verlangen, daß an Percival ein Exempel statuiert und er aufgehängt wird, damit so etwas nie wieder passiert.« Monk verzog angeekelt den Mund. »Und sie schäumen selbstverständlich über vor Sympathie für Sir Basil. All seine immensen Verdienste für Königin und Vaterland wurden andächtig aufgezählt, jede einzelne seiner umfangreichen Tugenden vorgeführt und natürlich schleimerische Beileidsbekundungen verfaßt.«
Hester starrte seufzend in den Bodensatz ihrer Tasse.
»Sämtliche einflußreichen Kreise stehen gegen uns«, fuhr Monk grimmig fort. »Jeder will, daß es schnellstens vorbei ist, daß die feine Gesellschaft gründlich Rache nimmt, damit man endlich vergessen und wieder zum Alltag übergehen kann.«
»Können wir gar nichts tun?«
»Mir fällt beim besten Willen nichts ein.« Er stand auf und hielt ihren Stuhl, während sie sich ebenfalls erhob. »Ich werde jetzt zu ihm gehen.«
Hester begegnete seinem Blick zugleich bedrückt und voller Bewunderung. Sie brauchte weder zu fragen, noch mußte er eine Erklärung abgeben. Es war eine Art Pflicht, ein letztes Sakrament, von dem ihn auch noch so großes Versagen nicht enthob.
Kaum waren die Türen des Newgater Zuchthauses hinter Monk zugefallen, überkam ihn ein übelkeiterregendes Gefühl von Vertrautheit. Es war der Geruch, diese Mischung aus Feuchtigkeit, Moder und stinkenden Abwässern, der Eindruck alles durchdringender Verzweiflung und Not. Zu viele Menschen, die an diesen Ort gebracht worden waren, hatten ihn nur zu ihrer Hinrichtung wieder verlassen. Das Grauen und die Ausweglosigkeit ihrer letzten Tage durchsetzte die Mauern wie jahrhundertealter Staub. Er spürte es wie Eiswasser auf der Haut, während er dem Aufseher durch die Steinflure folgte, zu dem verabredeten Platz, an dem er Percival ein letztes Mal sehen konnte.
Er hatte nicht sehr improvisieren müssen, um sein Ziel zu erreichen. Offensichtlich war er schon früher hiergewesen, denn nach seiner Miene zu urteilen, hatte der Wärter sofort einen überstürzten und falschen Schluß aus seinem Erscheinen gezogen. Monk hatte ihm keinerlei Erklärung geliefert.
Percival stand in einer winzigen Steinzelle, deren noch winzigeres, in unerreichbarer Höhe angebrachtes Fenster den Blick auf ein rechteckiges Stück bleigrauen Himmels freigab. Er drehte sich um, als die Tür aufging und Monk hereingelassen wurde, im Rücken den hünenhaften Gefängniswärter mit seinem riesigen Schlüsselbund in der Hand.
Im ersten Moment wirkte Percival überrascht, dann versteinerte sein Gesicht.
»Na? Sind Sie gekommen, um Ihrer Schadenfreude freien Lauf zu lassen?« fragte er bitter.
»Es gibt keinen Grund zur Freude«, erwiderte Monk fast ausdruckslos. »Ich habe meinen Job verloren, und Sie werden Ihr Leben verlieren. Ich bin mir noch nicht im klaren, wer eigentlich der Sieger ist.«
»Sie haben Ihren Job verloren?« Percival beäugte ihn mißtrauisch. »Und ich dachte, Sie hätten's endlich geschafft. Wären jetzt Oberinspektor oder so! Sie haben den Fall doch zu jedermanns Zufriedenheit gelöst - abgesehen von meiner. Es sind keine Leichen aus dem Keller
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