Gefährliche Trauer
lag, um eine Menge dafür zu opfern.
Septimus sah ihn neugierig an.
Monk lächelte und sagte spontan: »Vielleicht beneidet er Sie, Mr. Thirsk.«
Septimus' Brauen wanderten verblüfft nach oben. Er forschte in Monks Zügen nach Anzeichen von Spott, konnte jedoch keine entdecken.
»Ohne sich dessen bewußt zu sein«, fügte Monk erklärend hinzu. »Vielleicht fehlt Mr. Kellard die Tiefe oder der Mut, für irgend etwas stark genug zu empfinden, um notfalls dafür zu leiden. Sich für einen Feigling zu halten ist ein ziemlich bitteres Gefühl.«
Ganz langsam begann Septimus zu lächeln. Er sah beinah glücklich aus.
»Danke, Mr. Monk. Das ist das Schönste, was man mir seit Jahren gesagt hat.« Dann biß er sich unvermittelt auf die Lippe.
»Tut mir leid - ich kann Ihnen nichts über Myles erzählen. Ich habe lediglich einen Verdacht, und es ist schließlich nicht meine Wunde, die ich bloßlege. Vielleicht gibt es nicht einmal eine Wunde, und er ist nur ein gelangweilter Mann, der zuviel Freizeit hat und über eine zu schwerfällige Phantasie verfügt.«
Monk setzte ihn nicht unter Druck. Er wußte, daß es keinen Sinn hatte. Septimus war durchaus in der Lage zu schweigen, wenn sein Ehrgefühl es ihm gebot, und die Konsequenzen zu tragen.
Er leerte sein Glas. »Ich werde jetzt gehen und Mr. Kellard selbst aufsuchen. Aber falls Ihnen noch etwas zu der Entdeckung einfallen sollte, die Mrs. Haslett an jenem Nachmittag gemacht hat, und die Sie angeblich besser verstehen können als jeder andere, lassen Sie es mich bitte wissen. Wahrscheinlich hat dieses Geheimnis sie das Leben gekostet.«
»Ich habe schon darüber nachgedacht«, erwiderte Septimus und zog die Stirn in Falten. »Ich bin immer wieder durchgegangen, was sie und mich verbindet oder ihrer Ansicht nach verbunden haben könnte, aber es gibt da nicht sehr viel. Jedem von uns war Myles ziemlich egal, was mir allerdings bedeutungslos erscheint; er hat weder mir noch ihr etwas zuleide getan, da bin ich absolut sicher. Außerdem waren wir beide finanziell von Basil abhängig - aber das geht jedem im Haus so.«
»Wird Mr. Kellard für seine Arbeit in der Bank nicht bezahlt?« fragte Monk überrascht.
Septimus musterte ihn mit mildem, nachsichtigem Spott.
»Selbstverständlich, aber nicht in dem Maß, um den Lebensstil gewährleisten zu können, den er haben will - und Araminta erst recht. Außerdem gilt es, die gesellschaftlichen Auswirkungen zu bedenken; es bringt gewisse Vorteile mit sich, Sir Basil Moidores Tochter zu sein, auf die man als bloße Frau von Myles Kellard verzichten müßte - nicht zuletzt die Annehmlichkeit, in der Queen Anne Street wohnen zu dürfen.«
Monk hatte nicht erwartet, jemals Mitgefühl für Myles Kellard zu empfinden, aber dieser eine Satz mit seiner Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten ließ ihn die Dinge plötzlich in einem anderen Licht sehen.
»Wußten Sie nicht, wie oft dort Gäste empfangen werden«, fuhr Septimus fort, »wenn das Haus nicht in Trauer ist? Wir gaben regelmäßig Dinnerparties für Diplomaten und Kabinettsminister, Botschafter und ausländische Fürsten, Industriemogule, Förderer von Kunst und Wissenschaft und gelegentlich sogar für unbedeutendere Mitglieder unseres eigenen Königshauses. Nachmittags war das Haus von nicht wenigen Herzoginnen und der halben Londoner Gesellschaft bevölkert. Und dann die Rückeinladungen. Ich glaube, es gibt nicht viele große Häuser, in denen nicht ab und zu ein Moidore empfangen wurde.«
»Hat Mrs. Haslett das genauso empfunden?« erkundigte sich Monk.
Septimus zog die Mundwinkel herab und brachte ein eigenartiges, trauriges Lächeln zustande. »Ihr blieb keine andere Wahl. Sie und Haslett hatten die Absicht, ein eigenes Haus zu beziehen, aber dann trat er in die Armee ein, bevor es fertiggestellt war, woraufhin Tavie natürlich in der Queen Anne Street blieb. Und dann ist Harry bei Inkermann gefallen, der arme Teufel. Eine der fürchterlichsten Tragödien, die ich je erlebt habe. Er war ein höllisch netter Bursche!« Er starrte auf den Grund seines Bierkrugs - nicht auf den Bodensatz, sondern auf ein lange zurückliegendes Leid, das immer noch weh tat.
»Tavie kam nie darüber weg. Sie liebte ihn viel mehr, als der Rest der Familie je begriffen hat.«
»Eine traurige Geschichte«, sagte Monk sanft. »Sie hatten Mrs. Haslett sehr gern, nicht wahr?«
Septimus schaute auf. »Ja, das stimmt. Sie hat mir immer zugehört, als ob ihr meine Worte etwas bedeuten würden.
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