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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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besonders abstoßend. Aus dieser Nähe und im schonungslosen Tageslicht betrachtet, war sie den Sechzigern eindeutig näher als den Fünfzigern. Percival konnte allerhöchstens dreißig sein.
    »Stützt sich Ihre Vermutung auf irgendwelche Gründe, die über die bloße Beschaffenheit seines Gesichts hinausgehen, Ma'am?« fragte er bissig.
    »Oh - jetzt habe ich Sie verärgert.« Sie schaute mit ihrem Schlafzimmerblick zu ihm hoch. »Ich habe Ihr Moralempfinden verletzt. Sie sind selbst ein wenig fromm, stimmt's, Inspektor?«
    War er? Er hatte keine Ahnung. Er kannte sich lediglich mit seinen momentanen, spontanen Reaktionen aus: auf Frauen mit sanften, verletzlichen Gesichtern wie Imogen Latterly, die seine Gefühle durcheinanderbrachten; auf die mit leidenschaftlichen, intelligenten Zügen wie Hester, die ihm zugleich gefielen und seinen Unwillen weckten; und schließlich auf berechnende, räuberische weibliche Wesen wie Fenella Sandeman, die er fremdartig und abstoßend fand.
    »Nein, Mrs. Sandeman, aber mir mißfällt die Vorstellung eines Lakaien, der sich bei der Tochter seines Dienstherrn Freiheiten erlaubt und sie anschließend mit einem Messer abschlachtet«, gab er brutal zurück. »Ihnen vielleicht nicht?«
    Sie wurde immer noch nicht wütend. Ihre Gleichgültigkeit traf ihn härter, als es eine subtile Beleidigung oder bloße Reserviertheit vermocht hätten.
    »Nein, wie gräßlich! Natürlich mißfällt mir das. Sie haben eine krasse Art, sich auszudrücken, Inspektor. Man kann Sie wirklich in keinen Salon hineinlassen. Jammerschade eigentlich! Sie haben…«, sie musterte ihn mit unverhohlenem Wohlgefallen, was ihm ausgesprochen auf die Nerven ging, »… so etwas Gefährliches.« Ihr glänzender Blick starrte ihn einladend an.
    Was diese Umschreibung zu bedeuten hatte, wußte Monk genau. Er beschloß entsetzt, die Flucht zu ergreifen.
    »Den meisten Menschen sind Polizeibeamte ein Greuel, Ma'am. Ich bin daran gewöhnt. Vielen Dank für das Gespräch, Sie haben mir sehr geholfen.« Er verbeugte sich kaum merklich, drehte sich abrupt um und ließ sie neben ihrem Pferd stehen, in einer Hand die Reitgerte, die Zügel nach wie vor lässig über dem Arm. Noch bevor er den Rand der Rasenfläche erreicht hatte, unterhielt sie sich bereits munter mit einem eleganten Herrn mittleren Alters, der eben erst von einem stattlichen Grauschimmel abgestiegen war und schamlos mit ihr flirtete.
    Monk fand die Vorstellung eines lüsternen Lakaien zwar unschön und abwegig, konnte sie jedoch nicht einfach abtun. Er hatte die Befragung des Personals lange genug hinausgeschoben. Auf der Knightsbridge Road erwischte er einen Hansom, ließ sich in die Queen Anne Street fahren, zahlte und begab sich über die Kellertreppe zur Hintertür.
    Aus der warmen, betriebsamen Küche strömte ihm ein Duft nach Schmorbraten, frischgebackenem Kuchen und frischen Äpfeln entgegen. Den Tisch bedeckte ein kunterbuntes Wirrwarr verschiedenster Obst und Gemüseschalen, und Mrs. Boden, die Köchin, steckte bis zu den Ellbogen in Mehl. Ihr Gesicht war vor Anstrengung und Hitze gerötet, stellte jedoch eine verträgliche Miene zur Schau. Trotz der sich ausbreitenden geplatzten Äderchen in ihrer Haut und der bräunlich verfärbten Zähne, die vermutlich nicht mehr lange halten würden, sah sie immer noch gut aus.
    »Falls Sie Ihren Mr. Evan suchen, der steckt im Wohnzimmer der Haushälterin. Und falls Sie's auf 'ne Tasse Tee abgesehen haben, sind Sie zu früh dran. Kommen Sie in 'ner halben Stunde wieder. Und laufen Sie mir nicht zwischen den Füßen rum! Ich muß mich ums Abendessen kümmern. Auch wenn sie in Trauer sind, müssen die Herrschaften was essen - genau wie wir alle.«
    »Wir alle« bedeutete das Personal. Monk nahm die Unterscheidung im stillen zur Kenntnis.
    »Sicher, Ma'am, danke. Ich würde mich gern unter vier Augen mit Ihren Lakaien unterhalten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »So, würden Sie.« Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Leg die Kartoffeln weg, Sal, und bring Harold her - und wenn der fertig ist, soll Percival kommen. Na, mach schon, steh hier keine Löcher in 'n Boden, Schafsgesicht! Tu, was ich dir gesagt hab!« Seufzend begann sie, den Kuchenteig mit Wasser zu vermengen, bis er die richtige Konsistenz besaß. »Diese Mädchen heutzutage aber auch! Frißt wie 'n Scheunendrescher, und jetzt schaun Sie sich das an! Lahm wie 'ne Ente wenn's schneit. Schsch! Los, raus mit dir, wird's bald!«
    In einem

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