Gefährliche Trauer
weigerte sich, auch nur darüber nachzudenken, geschweige denn, es den anderen zu erlauben.
»Nicht in meiner Küche!« sagte sie rigoros, während sie ein halbes Dutzend Eier derart erbittert schaumig schlug, daß die Masse beinah aus der Schüssel flog. »Ich dulde hier keinen Tratsch. Ihr habt genug zu tun, müßt eure Zeit nicht mit albernem Geschwätz verplempern. Du bist mit den Kartoffeln fertig, wenn ich das hier erledigt hab, Sal, oder du kannst was erleben! May. May! Wie sieht der Fußboden aus? Bei mir gibt's keine dreckigen Fliesen.«
Phillips stelzte mit grimmiger Grandezza von einem Raum zum andern. Laut Mrs. Boden nahm der arme Mann es ziemlich schwer, daß sich in seinem Haushalt eine so schlimme Sache ereignet hatte. Da der Täter keiner der Familienangehörigen war, wozu niemand Stellung bezog -, müsse es einer der Bediensteten gewesen sein, jemand, den er eingestellt hatte.
Unter Mrs. Willis' eisigem Blick verstummte jede Spekulation. So etwas schickte sich nicht und war kompletter Blödsinn. Die Polizei war unfähig, sonst wüßte sie genau, daß es niemand aus dem Haus gewesen sein konnte. Derartige Mutmaßungen erschreckten nur die Jüngeren und waren verantwortungslos. Jeder, den sie etwas solchermaßen Dummes von sich geben hörte, würde auf der Stelle bestraft.
Das hielt natürlich niemand ab. Einen Höhepunkt erreichte der Klatsch zur Teestunde in der Gesindestube.
»Ich glaub, Mr. Thirsk hat's getan, als er gerade mal wieder voll war«, meinte Sal und warf den Kopf in den Nacken. »Ich weiß genau, daß er Portwein aus'm Keller klaut, da könnt ihr sagen, was ihr wollt!«
»So 'n Quatsch!« fuhr Lizzie ihr verächtlich über den Mund.
»Er benimmt sich immer wie 'n richtiger Gentleman. Und kannst du mir mal verraten, wieso er das hätte tun sollen?«
»Manchmal frag ich mich wirklich, wo du aufgewachsen bist.« Gladys warf einen raschen Blick über die Schulter, um sicherzugehen, daß Mrs. Boden außer Hörweite war, dann lehnte sie sich über den Tisch. Neben ihrem Ellbogen stand eine Tasse Tee. »Hast du denn von gar nichts 'ne Ahnung?«
»Sie arbeitet schließlich im Keller«, zischelte Mary zurück.
»Die Leute im Keller kriegen immer nur halb soviel mit wie die in den oberen Etagen.«
»Na, dann pack mal aus«, forderte Rose sie auf. »Was glaubst du denn, wer's war?«
»Mrs. Sandeman, weil sie vor Eifersucht einen Wutanfall gekriegt hat!« kam es postwendend im Brustton der Überzeugung zurück. »Ihr solltet mal ein paar von ihren Klamotten sehen - und wißt ihr, wo Harold sie angeblich manchmal hinfährt?«
Alle hörten zu essen und zu trinken auf und warteten gespannt auf die Antwort.
»Und?« drängte Maggie.
»Dafür bist du noch zu jung.« Mary schüttelte energisch den Kopf.
»Ach, komm schon«, bettelte Maggie. »Erzähl's uns!«
»Sie weiß es ja selbst nicht«, sagte Sal grinsend. »Sie spielt sich bloß auf.«
»Tu ich nicht!« schimpfte Mary. »Er bringt sie in Viertel, wo keine anständige Frau 'nen Fuß reinsetzen würde. Runter nach Haymarket zum Beispiel.«
»Wie - um irgendeinen Verehrer zu treffen?« Die Vorstellung bereitete Gladys sichtliches Vergnügen. »Red weiter! Wirklich?«
»Fällt dir vielleicht 'n anderer Grund ein?« fragte Mary zurück.
In dem Moment löste sich Willie, der Stiefelputzer, vom Türrahmen, wo er Schmiere gestanden hatte.
»Also meiner Meinung nach war's Mr. Kellard!« verkündete er mit einem schnellen Blick über die Schulter. »Kann ich das Stück Kuchen da haben? Ich sterb vor Hunger.«
»Das sagst du nur, weil du ihn nicht ausstehen kannst.« Mary schob ihm den Kuchen hin, und er schlug sofort gierig die Zähne hinein.
»Schwein«, stellte Sal ohne echten Groll fest.
»Ich glaub, es war Mrs. Moidore«, ließ sich May, das Spülmädchen, plötzlich vernehmen.
»Wie kommst du denn darauf?« wollte Gladys wissen. Ihr Stolz war verletzt; Romola unterstand ihrer Obhut, und sie betrachtete die Unterstellung als persönliche Beleidigung.
»Ach, hör doch auf!« Auch Mary fand den Gedanken offenbar absurd. »Du hast Mrs. Moidore doch noch nie zu Gesicht gekriegt!«
»Hab ich wohl«, verteidigte sich May. »Sie kam damals runter in die Küche, als die kleine Miss Julia krank war! Ist wirklich 'ne tolle Mutter. Zu toll, um wahr zu sein, wahrscheinlich - mit so 'ner Pfirsichhaut und so 'nem hübschen Gesicht. Wetten, daß sie Mr. Cyprian bloß wegen seinem Geld geheiratet hat?«
»Der hat doch nix«, gab William mit
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