Gefährliche Trauer
eigenen Überraschung verlegen. Es lag auf der Hand, daß Araminta sich nicht nur bewußt war, welchen Schreck sie ihrem Mann eingejagt hatte, sie hatte sogar ihren Spaß daran. Hester beugte sich wieder über das Bücherregal und hoffte daß Myles diese Erkenntnis nicht in ihren Augen gelesen hatte.
Er näherte sich ihr, bis er kaum mehr als einen Meter hinter ihr stand. Sie war sich seiner Gegenwart mit greller Schärfe bewußt.
»Kein Grund, sich Sorgen zu machen, Miss Latterly«, sagte er mit leicht rauher Stimme. »Lady Moidore hat eine ziemlich blühende Phantasie - wie viele Frauen. Sie bringt die Tatsachen durcheinander und weiß manchmal nicht, was sie sagt. Das können Sie sicher verstehen, nicht wahr?« Sein Ton legte nahe, daß es bei Hester vermutlich auch nicht anders war und man ihre Worte daher ebenfalls nicht ernst nehmen mußte.
Sie sprang auf die Füße und begegnete seinem Blick. Obwohl sie so dicht vor ihm stand, daß sie die Schatten sehen konnte, die seine erstaunlich langen Wimpern auf seine Wangen warfen, trat sie keinen Schritt zurück.
»Sie täuschen sich, Mr. Kellard, ich kann es keineswegs verstehen.« Sie wählte ihre Worte mit Bedacht. »Ich sage nur selten etwas, das ich nicht so meine, und wenn, geschieht das nicht, weil ich geistig verwirrt bin, sondern weil ich zufällig die falschen Worte benutze.«
»Natürlich tun Sie das, Miss Latterly.« Er lächelte. »Ich bin sicher, Sie sind im Grunde Ihres Herzens wie alle Frauen…«
»Wenn Mrs. Moidore Migräne hat, ist es wahrscheinlich besser, ich unternehme etwas dagegen, meinen Sie nicht?« warf Hester schnell ein, um ihm nicht die Antwort geben zu müssen, die ihr auf der Zunge lag.
»Ich bezweifle, daß Sie dazu in der Lage sind«, erwiderte er trocken und trat einen Schritt zur Seite. »Es ist nicht Ihre Aufmerksamkeit, nach der sie sich sehnt. Aber wenn Sie unbedingt wollen, versuchen Sie es. Es könnte eine nette Abwechslung für sie sein.«
Sie entschied sich, ihn mißzuverstehen. »Wenn jemand unter einem Migräneanfall leidet, ist es ihm gewöhnlich egal, wer sich um ihn kümmert.«
»Schon möglich«, räumte Myles ein. »Ich hatte noch nie Kopfschmerzen - schon gar nicht die von Romolas Sorte. Das gibt es nur bei Frauen.«
Hesters Finger verkrampften sich über dem Buch, das sie in der Hand hielt. Sie preßte den Einband gegen ihre Brust, damit er den Titel nicht lesen konnte, und rauschte an ihm vorbei.
»Sie müssen mich entschuldigen. Ich gehe wieder hinauf, um mich nach Lady Moidores Befinden zu erkundigen.«
»Nur zu«, brummte er. »Obwohl ich bezweifle, daß sie sich jetzt anders fühlt als zur Zeit Ihres Aufbruchs!«
Am nächsten Tag wurde Hester klar, was Myles mit seiner Bemerkung über Romolas Kopfschmerzen gemeint hatte. Sie kam mit einem Blumenstrauß für Beatrices Zimmer aus dem Gewächshaus, als sie Romola und Cyprian entdeckte, die ihr den Rücken zuwandten und zu sehr ins Gespräch vertieft waren, um ihre Anwesenheit zu bemerken.
»Es würde mich sehr glücklich machen, wenn du das tätest«, sagte Romola mit flehendem Unterton, der etwas ausgeleiert und ein wenig klagend klang, als hätte sie die Bitte schon sehr oft geäußert.
Hester blieb stehen und verschwand rückwärts in den Falten des Vorhangs, von wo aus sie einen direkten Blick auf Romolas Rücken und Cyprians Gesicht hatte. Er wirkte müde und gehetzt, hatte dunkle Ringe unter den Augen und ließ die Schultern hängen; man konnte glauben, er sähe einer körperlichen Züchtigung entgegen.
»Du weißt genau, daß es im Augenblick sinnlos wäre«, gab er bemüht geduldig zurück. »Es würde die Situation nicht im geringsten verbessern.«
»Ach, Cyprian!« Sie wandte sich sichtlich verdrossen von ihm ab. Ihre ganze Haltung drückte Enttäuschung und Desillusionierung aus. »Ich finde, du könntest es mir zuliebe wenigstens versuchen. Es bedeutet alles für mich!«
»Ich habe dir doch schon erklärt…« begann er, brach jedoch resigniert ab. »Ich weiß sehr gut, daß du es dir wünschst«, meinte er schließlich um einiges schärfer. Seine Erbitterung brach allmählich durch. »Und wenn ich wüßte, daß ich ihn überreden kann, würde ich es garantiert tun.«
»Würdest du das wirklich? Manchmal frage ich mich, ob es dir überhaupt wichtig ist, daß ich glücklich bin.«
»Romola - ich…«
Hester hielt es nicht länger aus. Sie verabscheute Menschen, die andere moralisch für ihr Seelenglück verantwortlich machten.
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