Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
daran, dass er mich gebeten hat, eine Woche lang Teil seiner dunklen Sehnsüchte zu werden – was auch immer die beinhalten, davon hat er noch nicht gesprochen. Im Gegenzug soll ich das Collier meiner Granny zurückbekommen, das er mir vor der Nase weggeschnappt hat. Warum, weiß ich noch immer nicht, aber wenn ich Glück habe, wird er es mir heute Nacht verraten.
Ich wage kaum, fest aufzutreten. Unsere Schritte hallen bedrohlich auf dem Steinboden und ich habe ständig Angst, auszurutschen. Jason bemerkt meine Unsicherheit, was mich sehr ärgert, und geht so dicht neben mir, dass ich seine Körperwärme spüre.
Im unteren Bereich des Hauses zeigt er mir den Salon (er sagt wirklich Salon und nicht einfach Wohnzimmer), die riesige Wohnküche, die so groß ist wie unsere ganze Wohnung, ein kleines Bad (vermutlich das Gästebad) und seine Bibliothek, in der sich neben deckenhohen Bücherregalen auch noch ein Flachbildschirm befindet, der einem kleinen Kino Ehre machen würde. Anstelle von Kinosesseln stehen drei Zweisitzersofas aus knautschigem Leder darin, in denen es sich ganz sicher auch gemütlich lesen lässt. Der Salon besticht durch einige ausgewählte Antiquitäten, die perfekt in die alte Villa passen, und wenigen ansprechenden Designeraccessoires.
Insbesondere die Artemide-Leuchten lassen darauf schließen, dass Jason dem Bauhaus-Stil verfallen ist. Mir fällt wieder ein, dass seine Mutter ursprünglich aus Deutschland stammt, allerdings war damals irgend etwas mit ihr passiert, denn ein Jahr nach dem Schulabschluss war sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und tauchte nicht mehr auf. Es gab Gerüchte, aber die waren alle so haarsträubend, dass sie höchstens Zeugnisse für die überschäumenden Fantasien der Elephant & Castle-Einwohner waren. Und ich hatte kurz nach Beginn meines Studiums keinen Grund mehr, in den Vorort zurückzukehren.
Irgendwie ist es seltsam, jemanden auf der einen Seite so gut von früher zu kennen, der einem auf der anderen Seite so fremd ist wie ein aus der Ferne angehimmelter Popstar.
Das ganze Haus wirkt mondän, aber trotzdem gemütlich. Überall liegen Dinge herum – aufgeschlagene Bücher, Zeitschriften, leere Trinkgläser und benutzte Kerzen. Das mag ich. Ich verabscheue Häuser und Wohnungen, die aussehen wie aus einem Magazin für Inneneinrichtung ausgeschnitten. Dieses Haus ist stilvoll und trotzdem lebendig. Mir fällt nur auf, dass es nirgends private Fotos gibt. Fotos, die wir alle um uns herum scharen – von unseren Eltern, den besten Freunden, Urlaubsbilder, Familienfeiern, Kinderfotos ... bei uns jedenfalls hängt und steht alles voll damit, sogar in der Küche. Daher weiß ich auch, dass Sylvia als Kind schrecklich vorstehende Zähne und eine winzige Nickelbrille hatte. Irgendwie tröstet mich das Foto immer, wenn ich es sehe, weil es mir gerecht erscheint. Schließlich ist Sylvia heute wunderschön, und es tut mir gut zu wissen, dass sie das nicht immer schon war.
„Setz dich“, sagt er nach unserem kleinen Rundgang und deutet auf das altmodische Plüschsofa, das den Salon beherrscht. Es steht so vor einem aus Marmor gehauenen offenen Kamin, dass man mit ausgestreckten Füßen wahrscheinlich seine Fußsohlen über dem Feuer garen kann.
Etwas atemlos lasse ich meine Handtasche neben dem gemütlichen Sofa fallen und nehme darauf Platz. Der Sitz sinkt unter mir ein, was mich zu einer fläzenden Haltung nötigt, die ich eigentlich ziemlich unhöflich finde in fremder Umgebung. Das ist vermutlich Absicht.
Während er aus einem antiken Buffet aus rötlich glänzendem Eichenholz Gläser und Flaschen nimmt, betrachte ich seinen Rücken. Seine Figur ist noch immer dieselbe, sportlich muskulös, aber nicht übertrieben aufgepumpt. Sein Hintern wirkt rund und prall in der engen Hose, die Schultern breit, während seine Hüften schmal sind. Neben ihm fühle ich mich wie eine faule, aber dralle Madame Pompadour, doch er hat mir ja zu verstehen gegeben, dass er mein neues Ich mag. Warum auch immer.
„Cognac okay?“
Ich muss lachen, und er zieht eine Augenbraue hoch, während er mir das edel wirkende Kristallglas hinhält.
„Entschuldige, aber bei Cognac denke ich immer an alte Frauen“, sage ich lächelnd, nehme das Glas aber trotzdem an und nippe an dem scharfen Getränk. Wärmend rinnt es meine Kehle hinab.
„Der Cognac ist älter als meine Großmutter“, erklärt er etwas von oben herab und schwenkt sein Glas, während er die bernsteinfarbene
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