Gefaehrliche Verlockung (Gesamtausgabe)
häufig, daher waren wir glücklich über seine Anwesenheit. Er ging selbst handfesten Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg und war schon mit vierzehn Jahren ein fabelhafter Boxer, dem sein Trainer eine großartige Karriere vorhersagte. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht, nur die etwas schief geratene Nase zeugt davon, dass er diesem Hobby wohl weiterhin frönt.
„Was willst du hier?“
Jasons Brauen haben sich zu einer einzigen Linie zusammengezogen. Mein Herz rast in der Brust und mir wird ein wenig schwindelig. Was zum Teufel ist hier los?
„Tut mir leid, Jason, ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“
Phil lächelt mich an, als sei die Situation hier ganz selbstverständlich. Offenbar weiß er nicht, dass sein kleiner Bruder ihn für tot erklärt hat.
„Jason, ich glaube, du musst mir was erklären“, mische ich mich ein, während die Brüder sich gegenüberstehen wie Cowboys kurz vor einem Duell. Statt Revolverkugeln fliegen Blitze zwischen ihren Augen hin und her.
„Jetzt nicht.“
Betroffen bleibe ich hinter ihm stehen und kaue auf meiner Unterlippe. Am liebsten würde ich mich umdrehen, zurück zum Auto gehen und Orlando bitten, mich nach Hause zu bringen. Kann ich das machen und einfach über ihn verfügen? Oder soll ich zurück auf die Straße und mir irgendwo ein Taxi organisieren? Ich habe wirklich keine Lust, in diese geladene Atmosphäre zu geraten.
Ja, Jason hat mir einiges zu erklären, aber das kann warten. Es ist offensichtlich, dass die beiden etwas zu bereden haben. Die Spannung ist beinahe spürbar.
Enttäuschung nagt an mir. Ich war gerade dabei, Vertrauen zu Jason aufzubauen, das mit einem Mal wie von einer Abrissbirne vernichtet wurde. Warum erzählt er so etwas Schreckliches, wenn es gar nicht wahr ist? Wollte er Mitleid erregen?
Jason drückt den Finger auf das Touchpad an seiner Tür und öffnet.
„Geh rein“, bestimmt er seinem Bruder, bevor er sich zu mir umdreht und mit einer fast verzweifelten Geste die Schultern hebt.
„Emma, es tut mir leid. Ich werde dir alles erklären, aber ich kann jetzt nicht ...“
„Ist schon gut.“
Meine Stimme klingt belegt.
„Kann Orlando mich nach Hause bringen? Ich will euch nicht stören.“
„Bitte, bleib. Es wird nicht lange dauern, und danach ...“
Kopfschüttelnd spüre ich, wie meine Stirn sich runzelt. Meine Halsschlagader pulsiert so stark, dass man sie sicherlich sehen kann. Mir ist übel.
„Mir hat es ehrlich gesagt die Laune verhagelt. Nein, Jason. Ich bin ein Mensch mit Gefühlen, und bevor du mir nicht eine gute Erklärung dafür liefern kannst, warum du mich so angelogen hast ...“
„Es hat nichts mit dir zu tun, wirklich nicht. Es ist eine Sache zwischen Phil und mir.“
Jason hat die Hände in die Hosentaschen geschoben und wippt auf den Fersen auf und ab. Ich will ihn jetzt nicht weiter ansehen, will auch keine fadenscheinigen Erklärungen hören. Die Enttäuschung über den Abend, auf den ich mich gefreut hatte, wächst in mir wie ein Tumor. Manchmal komme ich mir vor wie ein Kind, schlimm! Aber ich kann es nicht ändern. Ich wünschte, es wäre nicht passiert und wir könnten die Zeit zurückdrehen bis zu dem Moment, in dem wir den Wagen verlassen haben. Alles war gut; jetzt ist es so, als hätte ein plötzlicher Regenschauer die Frühlingsstimmung verdorben.
„Melde dich, wenn ihr fertig seid mit eurem ... Gespräch“, sage ich und drehe mich um. Orlando, der die ganze Situation ans Auto gelehnt beobachtet hat, richtet sich sofort auf und öffnet die hintere Tür. Ich bin erstaunt über seine Empathie, und dankbar dafür, dass ich nichts erklären muss.
Als der Wagen langsam vom Grundstück rollt, blicke ich kurz zurück. Jason steht noch immer in der Tür, mit eingezogenen Schultern, und schaut uns nach. Er sieht traurig und wütend zugleich aus. Meine Augen brennen vor Enttäuschung, aber ich schlucke die blöden Gefühle tapfer runter und starre aus dem Fenster. Der Weg nach Camden ist mir inzwischen bekannt, aber heute habe ich keine Lust, mit Orlando zu plaudern. Ich will nur nach Hause ...
20
„Hast du einen Frühstücksservice bestellt?“
Sylvia schiebt ihren Kopf durch meine Zimmertür, ohne vorher anzuklopfen. Murrend ziehe ich die Bettdecke über mein Gesicht. Mein Schädel brummt, hinter meinen Schläfen klopft ein obszöner Schmerz, der mich an die zwei Flaschen Chianti von gestern Abend erinnert. Mist, hätte ich wenigstens vor dem Einschlafen noch ein Aspirin
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