Gefaehrliche Verstrickung
Händen.
»Das ist Schnee.« Phoebe schüttelte die Glaskugel nochmals, bis die weißen Flocken darin herumwirbelten. »In
Amerika schneit es im Winter. Nun, an den meisten Orten. Zur Weihnachtszeit schmücken wir kleine Bäumchen mit Lichterketten und bunten Glaskugeln. Tannenbäume, solche wie die hier. Als ich klein war, bin ich mit meinem Großvater auch auf einem solchen Schlitten gefahren, wie du ihn hier siehst.« Ihren Kopf an Adriannes Schulter gelehnt, betrachtete sie das kleine Pferdchen und den Schlitten in der Glaskugel. »Eines Tages, Addy, werde ich dir dies alles zeigen.«
»Tut das weh?«
»Schnee?« Phoebe lachte und schüttelte die Kugel wieder. Die Szene belebte sich aufs neue, und die Schneeflocken tanzten wieder um den kleinen, geschmückten Christbaum und das winzige Männchen auf dem roten Schlitten herum, der von einem braunen Pferdchen gezogen wurde. Nur eine Illusion. Alles, was ihr geblieben war, waren ihre Erinnerungen und ein kleines Mädchen, das sie beschützen muss te. »Nein. Schnee ist nur kalt und naß. Man kann daraus etwas bauen. Schneemänner, Schneebälle und Schneeburgen. Es sieht unheimlich schön aus, wenn Schnee auf den Bäumen liegt. Schau, genau wie hier.«
Adrianne nahm die Kugel und begann sie nun selbst zu schütteln. Das kleine braune Pferdchen hob ein Bein an, während die weißen Flocken langsam auf es niederrieselten. »Es ist wunderschön, viel schöner als mein neues Kleid. Ich möchte es gern Duja zeigen.«
»Nein.« Phoebe wusste genau, was passieren würde, wenn Abdu davon erführe. Diese Glaskugel war für ihn das Symbol eines christlichen Feiertags. Seit Adriannes Geburt war er regelrecht fanatisch geworden, was Religion und Tradition anbelangte. »Es ist unser Geheimnis, denk daran. Wenn wir beide allein sind, darfst du es dir ansehen, aber niemals, wenn irgend jemand anderer dabei ist.« Phoebe nahm ihr die Glaskugel aus der Hand und versteckte sie wieder in ihrem Schrank. »Jetzt ist es Zeit für deine Party.«
Trotz der zahlreichen Ventilatoren und der zugezogenen Vorhänge gegen die gleißende Sonne war es drückend heiß im Harem. Die gläsernen Filigranlampen spendeten gedämpftes, weiches Licht. Die Frauen trugen ihre schönsten und kostbarsten Gewänder. Ihre schwarzen abaayas hatten sie an der Tür abgelegt und sich innerhalb eines Augenblicks von schwarzen Krähen in buntschillernde Pfauen verwandelt.
Mit den Schleiern hatten die Frauen auch ihr Schweigen abgelegt und schnatterten nun vergnügt über Kinder, Sex, Mode und Fruchtbarkeit. Der Harem mit seinem schummrigen Licht und den dicken weichen Kissen war bald erfüllt vom schweren Duft der Frauen und der glimmenden Räucherkerzen.
Ihrem hohen Rang zufolge begrüßte Adrianne ihre Gäste mit einem Kuss auf beide Wangen, während grüner Tee und gewürzter Kaffee in kleinen, zerbrechlichen Täßchen ohne Henkel herumgereicht wurde. Es kamen Tanten und Cousinen und etliche rangniedrigere Prinzessinnen, die, genau wie die anderen Frauen, mit unverhülltem Stolz ihren Schmuck und ihre Kinder zur Schau trugen, die beiden wichtigsten Statussymbole im Leben einer Frau.
Adrianne erschienen sie wunderschön in ihren langen, raschelnden und vor allem farbenprächtigen Gewändern. Phoebe, die hinter ihr stand, kam sich angesichts dieser Kostümparade vor wie in einem Spielfilm über das 18. Jahrhundert. Sie nahm die auf sie gemünzten mitleidigen Blicke der Frauen mit derselben stoischen Ruhe entgegen, mit der sie auch deren blasierte Eitelkeiten ertrug. Sie war sich voll bewußt, dass sie hier eine Außenseiterin war, eine westliche Frau, der es nicht gelungen war, dem König einen männlichen Erben zu gebären. Es war gleichgültig, sagte sie sich, ob man sie hier akzeptierte oder nicht, solange die Frauen zu Adrianne nett waren.
Es hatte alles seine Richtigkeit. Adrianne war einfach ein Teil dieser Frauengesellschaft, zu der sie selbst nie gehören würde.
Hungrig stürzten sich die Frauen auf das Büffet, probierten alle Speisen und benutzten dazu so selbstverständlich ihre Finger wie Phoebe die kleinen silbernen Löffelchen. Wenn sie zu dick wurden, kauften sie sich einfach neue Kleider.
Einkaufen gehen, das war es, womit sich die arabischen Frauen den Tag vertrieben, genau wie sie es mit ihren rosa Pillen tat. Kein Mann, außer dem Ehemann oder den Brüdern, bekam je ihre lächerlichen Gewänder zu Gesicht. Wenn sie den Harem verließen, verhüllten sie sich wieder unter der abaaya,
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