Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper
überrascht mich nicht, mein Lieber.“
„Niemand kennt mich so gut, wie mein Schwesterlein.“ Er schenkte die beiden Gläser voll und toastete ihr zu. Lizzy erwiderte seinen Toast und trank einen kleinen Schluck.
„Das habe ich immer an dir bewundert … Du brichst Brücken ab und siehst nicht mehr zurück. Ich hänge immer schrecklich an allem möglichen alten Kram. Inklusive der Kontakte zu Leuten, die ich nicht mal mag.“
Lizzy schmunzelte und ihre Wangen zeigten kleine Grübchen. St. John senkte den Blick in sein leeres Glas und schwieg.
„Was ist?“ Erfüllt von Aufmerksamkeit beugte seine Schwester sich nach vorne und suchte den Kontakt.
St. John haderte mit sich. Er wusste, er musste sich jemandem anvertrauen und er wusste, der einzige Mensch, bei dem er dies vorbehaltlos tun konnte, war seine Schwester.
„Hängt es mit dem Ripper zusammen? Diese letzte Tat war schrecklich, nicht wahr? Die Zeitungen haben nur Andeutungen gemacht, aber die waren grauenhaft genug.“
„Ja … gewiss“, antwortete er geistesabwesend.
„Das ist es also nicht …“
„Lizzy … ich habe eine schreckliche Dummheit begangen …“, er stieß es so atemlos hervor, dass sie ihn überrascht ansah.
„Und zwar?“
St. John setzte sich sehr gerade hin, presste die Lippen aufeinander, und holte Luft.
„Ich habe mich verliebt.“ Natürlich wusste er, dass das keine ausreichende Erklärung war und deswegen suchte er nach Worten, mit denen er seiner Schwester vernünftig beschreiben konnte, was er selbst nicht begriff.
Lizzy versuchte kein „Aber was soll denn daran schlimm sein?“ oder „Da habe ich Schlimmeres gehört!“ Sie sah ihn gespannt abwartend an.
„In jemanden, der nicht zu mir passt. In keiner Hinsicht.“
Sie schwieg eisern.
„Es ist die falsche Klasse. Der falsche Name. Auch das Herkunftsland ist unpassend.“ Jetzt musste er es aussprechen. „Selbst das Geschlecht ist falsch.“
Lizzys Brauen hoben sich.
„Oh“, machte sie.
„Ich habe mich in einen Mann verliebt. Er kommt aus Irland und ist ein Verbrecher. Einer der übelsten Sorte dazu.“
Lizzy fiel ein wenig zurück, bis ihr Rücken die Lehne der Couch berührte. Dann leerte sie ihr Glas.
Im gleichen Moment, da ihr fehlender Kommentar ihm wie eine Aufforderung, weiterzusprechen, erschien, begann es, aus ihm herauszusprudeln.
„Ich hatte ihn in Verdacht, der Ripper zu sein. Und trotzdem hat mein Herz, hat mein Körper, über meinen Verstand gesiegt. Aber seit dem letzten Mord weiß ich, dass er ein Alibi hat. Das Bestmögliche, wenn du so willst. Ich wollte mit ihm Schluss machen. Ihn nie wieder sehen. Habe mir Tag und Nacht gesagt, dass es Wahnsinn ist, dass er mit mir spielt. Mich manipuliert. Liz – ich habe so etwas noch nie erlebt. Wenn ich bei ihm bin, setzt mein Verstand aus. Völlig. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.“
Jetzt sah er, wie ihre Kiefer arbeiteten.
„Richard! Du bringst alles in Gefahr, das dir wichtig ist. Ist es dir das wert? Wenn ja, musst du weitermachen. Dann musst du dich zu ihm bekennen. Andernfalls solltest du es sofort beenden. In beiden Fällen bleibt dir nichts, als die Brücken hinter dir abzubrennen. Du kommst nicht drum herum.“
„Ich weiß. Aber ich bin mir nicht sicher. Wenn ich bei ihm bin, denke ich, dass ich alles für ihn opfern würde. Bin ich ihm fern und bei der Arbeit, denke ich nicht mal an ihn. Alles hat sich in mir verwirrt. Alles ist so durcheinander. Und jetzt … wenn ich an ihn denke … ist die Sehnsucht so schlimm, dass ich das Gefühl habe, ohne ihn ersticken zu müssen.“
„Warte ab … das ist alles, was ich dir raten kann. Versuche für den Moment den Balanceakt, ihn nicht zu verlieren und gleichzeitig deine Familie und deinen Beruf zu halten. Vielleicht entscheidet die Zeit … oder das Schicksal … oder Gott … wie immer du es nennen willst, was geschehen wird.“ Sie legte ihre Hand sanft auf seine und blickte ihm tief in die Augen. „Auf jeden Fall solltest du nichts überstürzen und nur handeln, wenn es unbedingt nötig ist.“ Entschlossen stellte sie ihr Glas beiseite, setzte sich neben ihn auf die Armlehne und zog seinen Kopf gegen ihre Brust.
So blieben sie schweigend sitzen und lauschten auf das Knistern im Kamin.
Die Kälte war erbarmungslos. Es war November, doch es verging kein Tag, an dem nicht kleine Schneeflocken vom Himmel gesegelt kamen. Der Winter machte das Leben im East End noch beschwerlicher, als es sowieso schon war. Es gab
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