Gefährliches Begehren
vielleicht sagen, weshalb er so distanziert blieb.
»Guten Tag, Mylord. Hattet Ihr einen angenehmen Morgen?«
Er biss erkennbar die Zähne zusammen und wandte den Blick ab. Himmel, das hatte sie nun wirklich nicht gemeint!
Stanton spürte, wie sich etwas in ihm schmerzhaft ausdehnte, als würden zwei verfeindete Armeen an seiner Seele
zerren. Sie war so reizend, und er konnte an nichts anderes denken, als an ihre süße Verführung an diesem Morgen. Er hatte in diesem verdammten Sessel gesessen, sich erinnert, und war von Minute zu Minute steifer geworden.
Sie war außerdem eine Lügnerin und hatte ihn auf diese verfluchte Party gebracht – zu dieser schamlosen Orgie, die ihn seit Tagen mit den Geräuschen und dem Anblick von Sex in die Enge trieb und verfolgte. Er war wegen einer verantwortungslosen Irren hier, die ihn um Tausende von Pfund erleichtert und auf eine Art zum Narren hielt, die er ihr nie vergeben würde.
Und doch verzehrte er sich nach ihr. Sein Innerstes bebte, so sehr sehnte er sich nach ihr, wollte er sie besitzen – jetzt, in dem Sessel, auf dem Boden, an dem mit einem Mittelpfosten versehenen Fenster, sodass alle Welt ihnen dabei zusehen konnte.
Er hasste sie so sehr, wie er sie lie…
Nein. Er verbot sich diesen Gedanken. Nein.
Also gut, ein letzter Versuch. Eine letzte Gelegenheit für sie, ihre Geschichte zu beweisen, und für ihn, um sein Herz davor zu retten, eine Frau zu lieben, die es nicht verdiente.
»Ich muss Euch etwas fragen.«
Alicia wich erschrocken zurück. »Ihr seid heute sehr ernst – noch ernster als sonst.«
Bitte, hab nicht vor, mir einen Antrag zu machen! Sie war sich ihrer Gefühle noch nicht im Klaren. Wenn er zu früh fragte, konnte sie ihm nicht die Antwort geben, die er verdiente.
»Lady Alicia«, begann er förmlich. »Ich habe eine Bitte, die von größter Bedeutung für uns beide ist.«
Sie schluckte.
»Mylady, ich muss Euch fragen – nein, ich muss Euch bitten – Euch auf ein sehr, sehr ernstes Vorhaben einzulassen. Ich muss wissen …«
Sie hielt den Atem an. Mit einem Mal war sie nicht mehr unsicher. Mit einem Mal war sie sich ihrer Gefühle für Stanton absolut sicher.
Sie liebte ihn. Sie wollte seine Frau werden. Sie wollte ihre Tage mit ihm verbringen, zur Hölle mit der Gesellschaft und ihren Erwartungen, zur Hölle mit der damit einhergehenden Belohnung derer, die sie verraten hatten. Sollten sie doch davon profitieren, denn sie hatte keinen Grund mehr, sie zu hassen. Sie hatten sie so weit, hatten sie zu diesem Mann gebracht.
»Ich muss Euch bitten zuzulassen, dass ich Euch als Köder für unseren rätselhaften Lord einsetze.«
Sie runzelte die Stirn. »Aber Ihr habt ihn doch letzte Nacht gefunden! Ist er Euch entwischt?«
Er knirschte mit den Zähnen. »Dieser Mann ist nicht derjenige, den Ihr hinter der Taverne gehört habt. Er ist ein enger Freund des Prinzregenten, der in der Nacht, in der Ihr behauptet, seine Stimme gehört zu haben, im Gefolge des Prinzen, ja, in Sichtweite des Prinzen war.«
Ihr behauptet. Irgendetwas stimmte nicht. Alicia machte einen Schritt vor, entschlossen herauszufinden, was da schiefgegangen war. »Ihr habt den Mann, den ich Euch in der letzten Nacht übergeben habe, doch befragt, habt seine Stimme gehört! Ist sie nicht genau so, wie ich sie beschrieben habe?«
Stanton nickte knapp. »Das ist sie. Aber er ist ohne jeden Zweifel unschuldig.«
»Aber wie kann das sein? Ich habe ihn gehört.«
Ein Anflug von Widerwillen huschte über Wyndhams Gesicht – kaum mehr als ein Schatten, aber sie hatte es schon einmal gesehen. An jenem Morgen, als sie unter den schockierten Blicken ihrer Eltern und deren vorsorglich platzierten »Zeugen« erwacht war, an jenem Morgen, als sie einer unempfänglichen Zuhörerschaft immer wieder ihre Geschichte erzählt hatte – an jenem Morgen, als sie zur Lügnerin geworden war.
Alicia fühlte sich, als habe sich vor ihren Füßen ein Abgrund aufgetan, als verlasse alles Blut ihren Körper und ließe sie kalt und hohl zurück. Jemand wollte dem Prinzregenten ein Leid zufügen. Jemand wollte sie leiden sehen.
»Ihr wollt mich also als Köder?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern, dabei hatte sie vorgehabt, ihn anzuschreien.
Er sah ihr in die Augen. Natürlich. Immer aufrichtig, immer ehrlich, seiner selbst so sicher. Sie konnte durch ihn hindurchsehen wie durch Glas, und was sie sah, war nichts. Er hatte vor, sie dem Löwen zum Fraß vorzuwerfen, aber
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