Gefährliches Begehren
seiner blauen Samtmaske war er
ein eher gewöhnlicher Kerl, weder besonders groß noch besonders klein, mit einem hohen Haaransatz und den geröteten Wangen und Nasenspitze, die mit langjährigem Hang zur Trunkenheit einhergingen.
Selbst jetzt kam er ihr heiter berauscht vor und eher harmlos, aber man konnte nie wissen. Sie war gewiss kein guter Menschenkenner.
Offenbar genoss er ihre zusätzliche Aufmerksamkeit, denn er zwinkerte ihr träge zu, während er mit seinem anderen Auge in ihren Ausschnitt schielte. »Wenn Wyndham Euer jemals müde wird …« Er ließ das Ende des Satzes offen.
Alicia geriet bei dem Gedanken, einem Verbrecher gegenüberzustehen, ein wenig in Panik, aber nur für einen kurzen Moment. Dann lächelte sie, beugte sich vor und atmete tief ein. »Aber ohne Euren Namen, Mylord …«
Ein Mann mit der Statur einer Bulldogge zwängte sich zwischen sie. »Hau ab. Ich bin dran.«
Alicia starrte den Eindringling grimmig an. »Ich will Euer dreckiges, kleines Geheimnis nicht hören«, schnauzte sie ihn an. Sie stand auf, suchte über den Köpfen der Menge nach Stanton. Er hatte doch eben noch dort bei dem Pfeiler gestanden. Er hatte versprochen, alles genau zu beobachten. Wo war er abgeblieben?
Lord Bulldogge ergriff ihren Arm. »He, Ihr müsst mich anhören. Das hat unser Herrscher der Unordnung so verfügt.« Er grinste schmierig. »Es ist eine ziemlich wilde Geschichte.«
Alicia schüttelte ihn ab. »Oh, bitte. Bei Eurem Mangel an Phantasie und Eurem vom Whisky benebelten Hirn besteht sie wahrscheinlich aus kaum mehr als darin, ein Korsett zu tragen und den Hintern mit einer Haarbürste versohlt zu bekommen.«
Ihm blieb der Mund offen stehen und seine buschigen Augenbrauen trafen sich über der Nasenwurzel. »Wer hat Euch das erzählt?«
»Also wirklich, ich bitte Euch!« Alicia drängte sich an ihm vorbei und versuchte, den geheimnisvollen Lord im Auge zu behalten. Wyndham sollte besser eine sehr gute Entschuldigung bereithalten, dass er sie so im Stich ließ.
Na gut, dann würde sie dem Mann einfach folgen, bis Wyndham sie fand oder sie über ihn stolperte – was auch immer zuerst geschah.
Der Verschwörer wankte scheinbar ziellos durch die maskierten Tänzer. Er wusste wohl nicht, was er tun sollte, da er seinen geheimsten Wunsch bereits in Alicias Ohr geflüstert hatte.
Sie hielt diskret Abstand und versuchte dabei, sich so natürlich wie möglich zu geben. Der Ballsaal war fürchterlich voll, und sie nahm an, dass die Gästeliste sich inzwischen von alleine verlängerte, da jedermann inzwischen von den Saturnalien erfahren hatte.
Der Verschwörer bewegte sich in Richtung der Terrassentüren. Alicia war versucht, den Abstand zu vergrößern, aber was würde Wyndham dazu sagen, wenn sie ihm erzählte, dass sie den Kerl aufgrund ihrer eigenen Unentschlossenheit verloren hatte?
Als sie ihrem Opfer endlich durch die Terrassentür gefolgt war, war dieses bereits auf halbem Weg den Gartenpfad hinuntergelaufen. Offenbar war er sehr wählerisch, denn auf der Suche nach dem richtigen Busch, hinter dem er sich übergeben konnte, torkelte er im Zickzackkurs den Pfad entlang.
Alicia folgte ihm bedächtig. Sie ging seitlich neben dem Pfad, wo der geringere Kiesanteil das Knirschen ihre Schritte
minimierte. Während sie sich tiefer in die Dunkelheit des Gartens vorwagte, wurde ihr bewusst, dass sie nicht die einzigen Gäste waren, die hinausgegangen waren.
Sie hatte lange genug neben einer Kaschemme gewohnt, um zu wissen, was die spitzen Schreie der Frauen und das Stöhnen der Männer zu bedeuten hatte, und sie war froh um die Dunkelheit, die ihr heftiges Erröten überdeckte.
Der mutmaßliche Verschwörer war noch immer unterwegs, deshalb biss sich Alicia auf die Unterlippe und blieb ihm auf den Fersen. Allein ihre Geschichte hielt Wyndham an ihrer Seite, und mit einem Mal war Alicia geradezu darauf versessen, sie zu beweisen. Nach dem, was sie von seiner Mutter über ihn erfahren hatte, musste sie alles tun, damit er ihr glauben konnte.
Ein Schrei ganz in der Nähe schreckte sie auf. Sie musste zugeben, dass ihr die immer tiefer werdende Dunkelheit in Verbindung mit den tierischen Lauten lustvoller Vereinigungen leise Schauer den Rücken hinunterjagte. Sie war nie zartbesaitet gewesen, aber sie wäre doch sehr erleichtert, wenn ihr Opfer endlich wieder hineingehen würde.
Dann stolperte sie fast über ihn. Er lag bewusstlos auf dem Pfad. Rasch kniete sie sich hin. »Mylord? Mylord,
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