Gefaehrliches Schweigen
betucht?“
Sie zuckte leicht die Schultern, sagte aber nichts mehr.
Womöglich hatte sie kapiert, dass ich versuchte, sie auszuhorchen. Jedenfalls bildete ich mir ein, das sei die Ursache ihres plötzlichen Schweigens.
Der Bus hielt im Zentrum und wir stiegen aus.
Es würde noch mehr Gelegenheiten geben, Hannamaria auszufragen. Ich brauchte bloß abzuwarten, bis ihre Wachsamkeit wieder nachließ.
DONNERSTAG
Ich wachte davon auf, dass jemand mich anstarrte. Als ich die Augen aufschlug, stupste Wuff mich mit ihrer kalten Schnauze.
Ich schaute zwinkernd auf den Wecker. Erst Viertel nach sechs.
„Leg dich wieder hin“, knurrte ich. „Der Wecker klingelt erst in einer Viertelstunde.“
Ich wandte ihr den Rücken zu, aber Wuff presste ihre Schnauze gleich wieder in meinen Nacken.
„Ja, ja, ja“, brummte ich.
Ich erhob mich widerstrebend. Wuff hüpfte auf den Fußboden hinunter und drehte sich vor Freude zweimal um ihre eigene Achse.
Ich zog die Thermohose und die Steppjacke über den Schlafanzug und drückte mir die Mütze auf den Kopf. Wir kamen in ein echtes Sauwetter hinaus. Es schneite wie verrückt und die Schneeflocken stoben in dem heftigen Wind durch die Luft.
Wuff lief vor zur Straße, hockte sich genau an unserer Grundstücksgrenze hin und flitzte dann zurück.
„Jetzt musst du noch eine Runde laufen, da hilft alles nichts“, brummte ich. „Schließlich hast du mich ja aus den Federn gezerrt.“
Es dauerte nur eine Minute, bis mein Missmut sich in Freude verwandelte. Linus kam im selben Moment mit Glöckchen heraus, als ich an seinem Haus vorbeiging. Er lächelte erfreut durch die tanzenden Schneeflocken, als er mich entdeckte.
„Wieso bist du so früh unterwegs?“, fragte ich.
„Meine Mutter fährt nachher mit Glöckchen zum Schwimmtraining.“
Ich schaute den stattlichen Rottweiler an. Glöckchen bewegte sich immer noch ein bisschen schwerfällig, als sie in Wuffs Spuren umherschnupperte.
„Es scheint ihr gutzutun.“
„Zum Glück.“
Auf den verlassenen Straßen mussten wir gegen den Wind und den wirbelnden Schnee ankämpfen. Aber wer fragt schon nach dem Wetter, wenn man mit jemandem unterwegs ist, den man gernhat! Ich fand alles nur spannend und aufregend. Als ich erzählte, wie Wuff mich geweckt hatte, lachte Linus.
Mein Herz klopfte. Ich liebte sein Lachen und seine Art, mich anzuschauen und mich anzulächeln, ja sogar seine Art, sich in der Kälte zu schnäuzen, liebte ich!
Ich hätte den ganzen Tag so weiterwandern können, doch die Hunde strebten wieder nach Hause. Und wir zwei mussten in die Schule.
Am liebsten wäre ich mit Linus zusammen hingefahren, traute mich aber nicht, ihn direkt zu fragen.
„Ist es nicht sehr anstrengend, im Schnee Fahrrad zu fahren?“, sagte ich stattdessen.
„Alles Gewöhnungssache“, meinte er.
Ich war enttäuscht. „Aber heute lasse ich das Fahrrad stehen“, fügte er hinzu und deutete mit den Kopf auf den wirbelnden Schnee.
„Prima! Dann können wir vielleicht …“
„… zusammen gehen“, ergänzte er.
Gehen? Ich schluckte meine Enttäuschung. Aber von mir aus, umso mehr Minuten in seiner Gesellschaft! Ich hielt den Daumen hoch.
„Um zwanzig vor?“
Er nickte.
Ich duschte und frühstückte in Windeseile.
„Soll ich dich fahren?“, fragte Papa.
„Ich gehe zu Fuß.“
Papa sah nachdenklich in den Schneevorhang vor dem Fenster hinaus. Dann erhellte sich seine Miene.
„Aha, dein geheimes Training!“
„Ich glaube, es gibt andere Gründe“, bemerkte Mama vielsagend und spähte nach draußen. „Er steht schon da und wartet auf dich.“
„Wer?“, wollte Papa wissen.
„Der Schneemann“, sagte Mama.
Mehr hörte ich nicht, ich war bereits nach draußen unterwegs.
Gegen Nachmittag hatte sich das Schneegestöber ein wenig beruhigt. Es ging immer noch ein heftiger Wind, schneite aber nicht mehr. Jo und ich waren in den Pausen nicht im Freien gewesen – auch sonst niemand – , und ich sehnte mich nach frischer Luft. Die Stimmung im Klassenzimmer war schläfrig. Alle saßen über Matheaufgaben gebeugt an ihren Tischen. Ulf Bergman, unser staubtrockener Mathelehrer, saß am Pult und korrigierte Arbeiten.
Plötzlich stieß Hannamaria einen Schrei aus.
„Hiiilfe!“
Sie streckte einen zitternden Zeigefinger aus.
Auf dem Dach der Turnhalle stand eine dunkel gekleidete Gestalt.
„Das ist Natalie!“
„Hat die den Verstand verloren?“
„Will die etwa … springen?“
„Wann ist die aus dem Zimmer
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